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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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mir schon wieder irgendwelche Märchen?«
    »Aber
wenn es doch wahr ist!« Er blickte ihr direkt in die Augen. Sie sah die Verzweiflung
darin, den dringenden Wunsch, dieser Situation zu entfliehen.
    »Und
wie heißt Ihr angeblicher Zwillingsbruder?«
    Er
zögerte kurz, bevor er den Namen aussprach. »Wir nannten ihn Benno. Richtig
heißt er Benjamin.«
    »Benjamin?«
Bei diesem Namen zuckte sie unwillkürlich zusammen. »Sie haben einen
Zwillingsbruder namens Benjamin?« Sie betrachtete das Gesicht ihres Gegenübers
eingehender. Die Form des Kopfes. Die graublauen Augen, deren Iris mal heller,
mal dunkler schien, die Lippen, die sich in bestimmter Weise über einer
gradlinigen Reihe Zähne bewegten. Seine Mimik.
    Eine
Ahnung stieg in ihr auf, gegen die sie sich vehement wehrte. Es gab die
merkwürdigsten Zufälle, das wusste sie nur zu gut. Aber das, das wäre ein zu
großer Zufall. Nein, die Unterschiede waren zu gravierend, und eine Ähnlichkeit
gab es nur auf den zweiten Blick.
    Der
Benjamin, den sie kannte, war viel mehr auf sein Äußeres bedacht als ihr
Gegenüber. Er stählte seinen Körper im Fitnessstudio. Er ging regelmäßig zu
einem teuren Friseur, kleidete sich modisch schick. Von Michael Schallers Haar
war nichts zu sehen. Auch seine Kleidung schien ihn nicht sonderlich zu
interessieren. Ein sackartiges kariertes Hemd umhüllte seinen fülligen Körper,
dazu trug er ausgebeulte Jeans.
    Und
doch, wenn Michael Schaller den Kopf in eine bestimmte Richtung drehte, fiel
eine gewisse Ähnlichkeit mit Ben auf. Auch das Alter stimmte.
    In dem
Moment, als der Name fiel, hatte sie gewusst, dass Michael Schaller die
Wahrheit sagte. Dennoch hatte sie verweigert, dass diese Nachricht in ihrem
Hirn ankam – und sie verweigerte dies immer noch.
    Michael
Schaller hob seine Hände und strich sich über Stirn und Augen. Auch diese Geste
kannte sie. Ausgeführt von Händen mit schmalen Fingern. Der Unterschied war,
dass an Michael Schallers rechtem Ringfinger ein Goldreif steckte.
    Das
Wort Verrat schoss ihr durch den Kopf, ein Begriff, der sich bleischwer
anfühlte.
    Sie
klammerte sich an einer Ungereimtheit fest: Der Nachname passte nicht. Obwohl
ihr Verstand längst wusste, dass sich das leicht erklären ließ.
    »Sie
behaupten also, Sie haben einen Zwillingsbruder namens Benjamin Schaller?«,
presste sie hervor.
    Michael
Schaller nickte.
    »Sie
wissen schon, dass das, was Sie sagen, abenteuerlich klingt.«
    »Ja,
ich weiß. Für Außenstehende ist das ja auch alles schwer zu verstehen. Unsere
Mutter hat das mit Benno nicht verkraftet«, fuhr er fort und sah auf seine
unruhigen Hände. »Sie hat geglaubt, es sei alles ihre Schuld. Weil sie ihn
hinter dem Rücken unseres Vaters verwöhnt hat, der immer sehr streng mit uns
Kindern war. Sie hat sich dann auch umgebracht.« Er hob den Kopf. Sein Kinn
zitterte. Der Blick war flehend. In seinen Augen standen Tränen. Jemand
Unbedarftes hätte behauptet, hier säße der reine Unschuldsengel. Doch Franca
hatte dauernd mit Menschen zu tun, die behaupteten, unschuldig zu sein. Und die
dies auch noch dann selbst glauben wollten, wenn sie nachweislich getötet
hatten.
    Plötzlich
begann er zu reden. »Ich habe meinen Bruder vermisst wie blöd. Und als dann
noch meine Mutter starb, war das die Hölle. Ich blieb allein mit Vater zurück,
der immer herrischer und unausstehlicher wurde.« Sein Redefluss schien nicht
mehr versiegen zu wollen. Es war, als ob er sich alles von der Seele redete,
was sich im Lauf der Zeit angestaut hatte, und endlich der Damm gebrochen war.
    Franca
hörte ihm geduldig zu, obwohl es ihr noch immer schwerfiel, seine Geschichte
mit der ihren zur Deckung zu bringen. Was Michael erzählte, klang zu
ungeheuerlich.
    »Lange
Zeit konnte ich keinem Menschen vertrauen. Ich … hab
allerhand Blödsinn gemacht, das geb ich ja zu. Aber Sie glauben nicht, wie froh
ich war, als ich meine jetzige Frau getroffen habe und endlich ein normales
Leben beginnen konnte.« Er schluckte. »Deshalb darf sie auch auf keinen Fall
erfahren, dass ich bei dieser … Frau war. Auf sowas werde ich
in Zukunft verzichten. Wirklich. Es bedeutet mir nichts. Meine Frau ist mir
viel zu wichtig, als dass ich alles aufs Spiel setzen will.«
    Wie oft
hatte Franca schon solche oder ähnliche Beteuerungen gehört? Und was war daraus
geworden?
    »Ich
will nichts anderes, als ganz normal leben. Mit meiner Frau und mit meinen
Kindern, die mir besonders fehlen«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Ich

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