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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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ihm den Lauf in den Nacken. Sie verfielen in den
gleichen Atemrhythmus. Der Colonel flüsterte etwas.
    Vielleicht
versuchte er auch nur zu atmen.
    Pavel
streckte die Hand aus und wischte das Blut weg, damit er die Wunde besser sehen
konnte. Sie war ein unsauberer Krater, aus dem es zähflüssig quoll. Es war
schwer zu sagen, wie viel Zeit dem Colonel noch blieb.
    Als er sie
zurückkommen hörte, richtete sich Pavel auf und eilte zurück zum Schreibtisch.
Sonja gab ihm einen Wollpullover und eine Tweedjacke, beides viel zu groß. Sie
selbst trug einen zweireihigen, knielangen Fuchsmantel und einen Baumwollschal
in den Farben eines Oxforder Colleges, komplett mit Wappen.
    »Hast du
ihn endlich getötet?«, fragte sie. Ihre Gleichgültigkeit war fadenscheinig:
Ihr Zittern schien durch.
    »Nein«,
sagte er. »Ich überlege noch.«
    »Was gibt
es da zu überlegen? Jag ihm eine Kugel rein.«
    »Und dann
wird er hier gefunden, mit deiner Nummer im Notizbuch? Was, glaubst du,
passiert, wenn die Polizei hier auftaucht? Ich bezweifle, dass die von einem
Unfall ausgehen werden.«
    Sie zog
die Brauen zusammen und fuhr sich mit der Hand über die Wange. Die Hand war
schön. Ihm wurde bewusst, dass er Sonja noch nicht berührt hatte.
    »Was
sollen wir also tun?«
    Aber Pavel
schüttelte nur den Kopf. Hinter ihnen, im Durcheinander des umgestoßenen
Mobiliars, turnte der Affe über den Daliegenden, setzte sich auf das Gesicht
des Colonels und bohrte ihm einen ledrigen Finger in den Schädel. Der Colonel
sah ihm aus einem fettgeränderten Augenwinkel dabei zu.
     
    Und so saßen sie untätig da,
während die Minuten verstrichen. Ich hätte nicht gedacht, dass er dazu imstande
gewesen wäre, zu dieser kalten Berechnung angesichts des Leidens eines anderen
Menschen. Auch Sonja wurde nicht recht daraus schlau. Sie hielt es für seiner
nicht wert, sah darin nicht den Mann, den sie in ihren Träumen derartig
idealisiert hatte. Zudem war er völlig verdreckt, hatte einen Bart und stank
nach Gefängnis. Sie hatte lange auf den Augenblick des Wiedersehens gewartet.
Jetzt fühlte sie sich betrogen.
    Man kann
ihre Enttäuschung verstehen. Pavel war von den Toten auferstanden, aber fünf
Minuten zu spät gekommen und sah zudem noch aus wie ein Landstreicher. War ohne
Zweifel gekommen, um sie zu retten, aber eben zu spät, die Hand mit der Pistole
ratlos nach unten hängend. Er berührte sie nicht, küsste sie nicht, strich ihr
nicht über die Wange. Stank. Saß grübelnd da. Dieselbe alte Stimme, sanft wie
die eines Mädchens. Sie passte nicht in dieses bärtige Gesicht. Der Bart
verbarg die Form seines Mundes, Wangen und Stirn waren rußverschmiert.
    Sie wird
nach Strohhalmen gegriffen haben. Vielleicht, wird sie
gedacht haben, vielleicht braucht er nur eine
gründliche Wäsche. Einmal richtig abgeschrubbt, und die Seele wird wieder
sichtbar. Gab etwas Spucke auf einen Finger und fuhr ihm damit über
eine schmierige Schläfe. Versuchte, den Mann darunter zu finden.
     
    Sie hätten sich davonmachen
sollen. Das Haus verlassen, egal wohin. Pavels Unentschlossenheit kam ihr
wahnsinnig vor. Schlimmer noch als wahnsinnig: verstopft. Hamlet flüsterte mit Friedhofsschädeln.
    »Gehen
wir«, drängte sie und fuhr mit einem Zeh über die Mikrofilmrolle auf dem Boden.
Er schien sie nicht zu hören. Sie fragte sich kurz, ob er reagieren würde, wenn
sie die Rolle mit dem Absatz zerträte.
    »Was ist überhaupt da drauf?«,
fragte sie.
    Diesmal bekam sie eine Antwort.
    »Wissenschaftliche
Abhandlungen«, sagte er. »Lebensläufe. Eine Reihe Adressen.«
    »Der Film ist nicht vollständig.«
    »Richtig.«
    »Du hast
ein Stück herausgeschnitten. Deswegen lag das Kameraobjektiv auf deinem Tisch,
das Objektiv und die Taschenlampe. Du hast dir den Film angesehen und ein
Stück herausgeschnitten, bevor du ihn mir gebracht hast.«
    »Ja.«
    »Ich habe
überlegt, warum. Warum du das getan hast. Dann wurde es mir klar. Du hattest
nicht genug Vertrauen zu mir, um mir den ganzen Film zu geben.«
    »Nein,
hatte ich nicht. Ich konnte es nicht riskieren.«
    »Was ist
auf dem fehlenden Teil?«
    »Eine
weitere Adresse. Fotos von einem Mann, der ein Gebäude betritt und wieder
verlässt. Einzelheiten über seine Aktivitäten während des Kriegs. Ich habe nur
kleine Teile gelesen. Mit dem Objektiv und der Lampe war es schwer, und ich
musste schnell sein.«
    »Dann hast
du dich schon damals klug angestellt. Hast schnell gearbeitet und schnell
gedacht. Schneller als

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