Vyleta, Dan
halben
Wohnzimmers, eines halben Bads und ein paar Meter Flur. Selbst die Toilette im
Bad sah aus, als wäre sie genau in der Mitte zerschnitten worden. Auf dem Feld
neben dem Haus hatte sich Schnee in rußfarbenen Verwehungen gesammelt.
Pavel ließ
den Blick über die Klingeln gleiten und sah, dass Franzi eine
Erdgeschosswohnung hatte. Vor den Fenstern hingen Netzvorhänge, und sie hatte
etwas Weihnachtsschmuck an der Vorhangstange festgemacht, der aber durch das
Eis auf der Scheibe kaum zu erkennen war. Er klingelte, und Franzi machte
gleich auf.
»Komm
rein«, sagte sie schroff. »Draußen ist es eisig.« Sie machte keine Anstalten,
ihm den Mantel abzunehmen, und es war auch zu kalt dafür.
Franzi
ging auf die vierzig zu, ihr Haar war hennarot gefärbt, und sie hatte kein Geld
für Schminke. Sie war eine kleine Frau mit einem mächtigen Hinterteil und, ja,
üppigen Schenkeln, die in eine dicke wollene Strumpfhose gehüllt waren und aus
dem achtlos zugebundenen Morgenmantel herauslugten. Aufgedunsene Haut,
besonders um die Augen, ihr Atem roch nach Alkohol, und ihre Locken saßen
schief, so wie sie darauf geschlafen hatte. Pavel schüttelte ihr die Hand und
folgte ihr ins Wohnzimmer. Dort gab es einen schäbigen Diwan und einen Tisch
voller Trinkutensilien. Die Wohnung stank, sie war sicher lange nicht mehr
gelüftet worden.
»Setz
dich.«
Er setzte
sich auf die vordere Kante eines Sessels, während sie sich auf dem Diwan in
eine Decke hüllte. »Es gibt keinen Strom zum Kaffeekochen«, sagte sie, und er
gab ihr das erste Päckchen Zigaretten, das er ihr versprochen hatte.
»Ich suche
nach einer Frau namens Belle. Eins von Boyds anderen Mädchen. Er sagte mir,
sie hätten sich nahegestanden.«
»Belle,
wie? Kann man so sagen. Er ist um sie rumgestrichen wie 'n kleiner Hund.
Dachte, sie wär was Besonderes, Gott weiß, warum. Ein Mädchen aus besseren
Kreisen, weißt du, mit so 'ner schönen Aussprache. Immer etepetete und so
verdammt wohlerzogen. Aber ich will dir was sagen: Eine Hure bleibt eine Hure.
Stimmt's oder hab ich Recht?«
»Wissen
Sie, wo sie jetzt ist?«
»Hab sie
'ne Weile nicht gesehen. Vier, fünf Tage nicht, vielleicht eine Woche. Ein
paar von den Mädchen sind zu Weihnachten nach Hause gefahren, oder haben es
wenigstens versucht, die Züge sind so was von einem Schlamassel. Vielleicht ist
sie auch ganz weg. Ich weiß aber, wo Boyd sie untergebracht hatte, wenn dir das
was hilft.«
»Bitte.«
Pavel gab ihr ein zweites Päckchen Zigaretten und bekam dafür eine hastig
hingeschriebene Adresse.
»Zweiter
oder dritter Stock, glaube ich, mit Blick über die Straße vorne. Wahrscheinlich
hat sie sich da vergraben und heult Krokodilstränen.«
»Glauben
Sie, Belle hat ihn gemocht?«
»Heilige
Mutter Maria, er war ihr Zuhälter und ein Scheißkerl, wenn er's drauf
anlegte.«
Sie
musterte ihn belustigt von oben bis unten, und Pavel wurde bewusst, wie
unwillig er auf ihren Kommentar reagiert hatte.
»Entschuldige,
Süßer, ich weiß ja, über die Toten soll man nicht schlecht reden.« Sie
bekreuzigte sich schnell und küsste sich anschließend auch noch die
Fingerspitzen. Die Geste roch nach Klosterschule.
»Er hatte
auch seine guten Seiten, hat uns zum Beispiel wenig geschlagen, weißt du. Wart
ihr eng befreundet?« Er nickte.
»Die Army,
was? Boyd konnte nicht davon aufhören, als hätte er Frankreich ganz alleine
erobert. Mit einer Spezialeinheit und so weiter.« Sie sah ihn gewitzt an. »Hat
er dir das Leben gerettet oder so?«
»Nichts in
der Art. Wir haben zusammen im Schützengraben gelegen, uns Witze erzählt und
Dosen mit Corned Beef geteilt. Und Kugeln über Matschfelder geschossen.«
Sie
kicherte, ihr Mund war hässlich wie eine Wunde. »Klingt ja toll romantisch.«
Er sah sie
verdrießlich an.
»Ist 'n
wunder Punkt, wie?«, sagte sie. »Bringt schlimme Erinnerungen zurück, nehm ich
an. Los doch, red's dir von der Seele. Wir Mädchen sind das gewohnt.«
»Der Krieg
ist vorbei«, flüsterte er, und sie warf die Lippen auf, als schmeckte sie etwas
Saures.
»Wie du
meinst, Süßer«, bemerkte sie spöttisch und stand auf, um ihn zur Tür zu
bringen. »Hast du noch 'n Päckchen für mich, wie du's mir versprochen hast?«
Pavel gab
ihr die Zigaretten und hielt einen Moment lang ihre Hand, als sie danach griff.
»Es tut mir leid«, sagte er ernst und suchte nach dem Menschen in der
Hurenfratze.
»Was
sollte dir denn wohl leidtun?«, sagte sie barsch. »Du hast gekriegt, was
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