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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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ihren
Helmen saßen und Suppe löffelten. Er hatte keine Zeit gehabt zu frühstücken,
und so kaufte er sich bei einem Bäcker, an dem er auf dem Weg in den
amerikanischen Sektor vorbeikam, zwei Schrippen und eine Tasse Ersatzkaffee. Zu
dieser Zeit am Morgen war die Straßenbahn voller Arbeiter in Arbeitskleidung
und alten Wehrmachtsmänteln. Am Kaiser-Wilhelm-Platz stieg er aus, und
plötzlich war die Straße voller Männer in US-Uniformen und mit
Farmerssohn-Gesichtern. Halb Wisconsin schien an jenem Morgen in Berlin zu
sein. Als er den »Unbekannten Soldaten« erreichte, schmerzte sein Körper vor
Kälte. Keuchend blieb er einen Moment vor dem Eingang stehen, ging dann hinein
und sah sich nach Doug Priestley um, einem außer Dienst gestellten Sergeant
Major, den alle Tex nannten, genau wie Tausende anderer GIs, die dessen
Herkunft teilten oder zumindest danach klangen. Tex arbeitete hinter der Theke.
Er hatte eine lederne Schürze um den drahtigen Körper gebunden und erkannte Pavel
sofort. Sie schüttelten sich die Hand, zündeten sich eine Zigarette an und
hielten die Glut in der Handwölbung verborgen. Es war ruhig im Lokal,
vielleicht ein halbes Dutzend Soldaten frühstückte Rührei mit Bier. Tex
schenkte Pavel einen doppelten Roggenwhiskey ein und sich selbst auch.
    »Boyd ist
tot«, sagte Pavel zu Doug und hielt das Glas in der Hand.
    Doug war
nicht überrascht. »Ich hab schon so was läuten hören«, sagte er. »Die Russen,
heißt es. Eine NKWD-Sache. Du siehst schlecht aus, Jay-Pee.«
    Pavel
hatte sich schon oft gefragt, was am Krieg es war, das es Soldaten vermeiden
ließ, sich beim richtigen Namen zu nennen. Das Tragen der Uniform schien es zu
verbieten.
    »Ich hatte
Ärger mit den Nieren. Hör zu, ich suche eines seiner Mädchen.«
    »Eine
Nutte?«
    »Ja, und noch ein bisschen mehr als das. Sie heißt Belle.«
    »Das ist Französisch, stimmt's?«
    »Ich glaube nicht, dass es ihr richtiger Name ist.«
    »Na klar.«
    Doug
zuckte mit den Achseln und zog einen ledergebundenen Block hervor, der ihm als
Adressbuch diente. Er blätterte durch die losen Seiten, hielt gelegentlich inne
und nahm einen Zug von seiner Zigarette. Endlich fand er, wonach er gesucht
hatte, und kritzelte eine Nummer auf ein Stück Papier.
    »Ruf am
besten Franzi an. Sie hat früher für Boyd gearbeitet. Nettes Mädchen. Dralle
Schenkel.«
    »Hat sie
Telefon?«
    Doug
nickte. »Hat Boyd ihr verschafft. Hat sie völlig verwöhnt, seine Mädchen.« Er
holte ein schweres schwarzes Telefon hinter der Theke hervor. »Ruf ruhig gleich
an, wenn du willst.«
    Pavel
dankte ihm und wählte die Nummer. Er ließ es ein Dutzend Mal klingeln, legte
auf und versuchte es gleich noch einmal. Als sie endlich antwortete, klang
ihre Stimme müde und feindselig.
    »Ist da
Franzi?«, fragte er auf Deutsch und stellte sich vor. »Mein Name ist Jean Pavel
Richter. Ich bin ein Freund von Boyd White.«
    »Boyd ist tot. Was willste?
Schuldet er dir Geld oder so?«
    »Hätten Sie etwas dagegen, wenn
ich zu Ihnen käme? Ich muss mit Ihnen reden.«
    »Reden, Süßer?«
    »Ich bin
auch bereit, dafür zu zahlen. Ich habe zwei Schachteln Zigaretten für Sie, und
mehr, wenn ich bekomme, was ich brauche. Fünf Minuten, länger dauert es nicht.«
    »Fünf Minuten? Länger dauert's
nie.«
    Sie gab
ihm ihre Adresse weiter östlich im amerikanischen Sektor und erinnerte ihn
daran, die Zigaretten nicht zu vergessen. »Und fallste die Meinung ändern
solltest, was das Reden betrifft, dann bring Gummis mit.«
    Pavel
überlegte, ob er den Bus nehmen sollte, entschied sich am Ende aber zu laufen.
Fuß um Fuß stellte er voreinander und nahm die Kälte nicht wahr. Sein Körper
schmerzte, die Lunge und die Nieren, aber sein Denken und Empfinden war in
einen seltsamen Traumzustand übergegangen, war gefangen in der Freude zu leben,
und sich dieser Freude auch bewusst. Seit dem Schinken und den Kartoffeln zum
Mittagessen gestern löste sich etwas in ihm, taute auf, etwas Existenzielles,
Tierisches: noch war es zerbrechlich und unartikuliert, aber es stieg in ihm
auf, unerbittlich wie ein Rülpsen. Von all den Leuten, die über die Straße
liefen, war er der Einzige, der lächelte.
    Franzi
wohnte in einem Haus, das von einer Bombe halb zerstört war. Ein Teil der
Trümmer war weggeschafft worden, und jetzt stand das Haus in einer
zahnlöcherigen Zeile und war exakt entzweigeschnitten. Von der Seite aus
betrachtet, hatte man einen perfekten Blick in die Höhle eines

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