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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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der Brust. Der Soldat eine
Etage höher rührte sich nicht. Die Großmutter grüßte ihn knapp und schloss die
Tür neben seinem Stuhl auf.
    Pavel
wartete noch eine Viertelstunde, ganz steif vor Kälte, und wollte schon
aufgeben, als er hörte, wie sich oben eine Tür öffnete und sich die Stimme der
alten Frau an den Wachposten wandte. »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Ich
könnte einen Moment lang einen starken Mann brauchen.« Und dann in abgehacktem
Russisch: »Helfen alter Frau, Junge, sie klein und du einfach dasitzen wie Möbelstück
fertig für den Kamin, dich schämen.«
    Darauf
hatte Pavel gewartet. Er hörte den Soldaten etwas murmeln und der Alten in ihre
Wohnung folgen. Dankbarkeit erfüllte ihn, und er stieg von seinen Stiefeln und
lief hinauf zu der Tür mit dem gebrochenen Rahmen. Das Glück blieb ihm treu,
die Tür war unverschlossen, oder besser gesagt, das Schloss war aufgebrochen,
genau, wie er gehofft hatte. Er ging hinein, schloss die Tür vorsichtig hinter
sich, setzte sich auf den Boden und massierte neues Leben in seine frostkalten
Füße.
    Die
Wohnung war durchsucht worden. Gefilzt, wie es in
Romanen hieß. Pavel stieg durch das herumliegende Durcheinander, an ausgeleerten
Schubladen und zerbrochenen Fotorahmen vorbei, deren Inhalt sie mitgenommen
hatten. Die Sofakissen im Wohnzimmer waren aufgeschlitzt worden, und neben dem
Esstisch lag ein zertrümmertes billiges Teeservice. Im Schlafzimmer fand er
einen ausgeweideten Frauenkleiderschrank. Die Tür hing schief in den Angeln,
und der Boden war übersät mit Abendkleidern, Stolen, Blusen und Unterwäsche.
Pavel bückte sich, hob ein rotes Seidenhöschen auf und verspürte erneut Scham
wegen seiner Herumschnüffelei. Er hatte keine Ahnung, wonach er suchte, und es
überraschte ihn ein wenig, dass man die Kleider nicht »konfisziert« hatte. Sie
waren von guter Qualität, auf dem Schwarzmarkt hätte man sich damit ein paar
nette Dinge kaufen können.
    Müde
setzte sich Pavel auf das Himmelbett und versank tief in der ausgeleierten
Matratze. Auf der Tagesdecke befand sich ein eingetrockneter Blutfleck, kaum
größer als sein Handteller. Pavel fuhr mit einem Finger darüber, aus der
morbiden Neugier heraus, wie sich der Fleck wohl anfühlte. Das Blut war so
kalt wie die Tagesdecke selbst. Die Winterkälte verwischte alle Unterschiede.
Pavel schnüffelte am Kopfkissen, konnte aber nichts riechen. Ein einzelnes
dunkles Haar kringelte sich auf dem Bezug; es war zu lang, um ein Männerhaar zu
sein. Direkt neben dem Bett lagen ein paar unbenutzte Kondome. Es war schwer
zu sagen, was von alldem als Spur gewertet werden konnte.
    Pavel
stand auf und wusste nicht, was er tun sollte. Weil er nicht nachlässig sein
wollte, suchte er nach Papieren: Dokumenten, Briefen, einem Tagebuch. Wie
vorherzusehen, fand er nichts dergleichen. Wenn es so etwas gegeben hatte, war
es von seinen Vorgängern mitgenommen worden. Im Bad hatte jemand eine Sammlung
Seifen und Kosmetika ins Waschbecken geworfen und das russische Wort kurva in den Spiegel gekratzt. Pavel schloss die Augen und
versuchte, sich die Wohnung vorzustellen, bevor sie durchsucht worden war. Er
versuchte, sich das Leben einer Prostituierten vorzustellen, deren Tage mit
ihren Diensten für die Kunden (und denen für ihren Zuhälter) ausgefüllt waren,
stellte sich die Scham der ersten tränenreichen Wochen einer solchen Existenz
vor, die bald schon von einem erbitterten Stolz ersetzt wurde, einem manischen
Vergnügen an der eigenen Verderbtheit, vor der die sie verachtenden Männer buckelten
und schleimten. Es wunderte ihn nicht, dass Boyd einer solchen Frau verfallen
war, sie womöglich gar geliebt hatte, während er gleichzeitig ihren Körper
verhökerte. Pavel sah ihn vor sich, wie er mit Schokolade und Champagner hier
angetreten war. Wie er ihr mit seinen schmutzigen Fingern Sahnekaramell um den
süßen Schmollmund strich. Das machte ihn wütend auf den toten Freund, und er
öffnete die Augen. Er war nicht länger allein.
    Der
Polizist hatte sich, ohne dass Pavel etwas gemerkt hatte, an ihn
herangeschlichen. Sie standen kaum einen Meter voneinander entfernt, Pavel mit
den Händen auf dem Waschbecken, der Russe in der Tür, mit einer Zigarette
hinter dem Ohr. Pavel konnte ihn im Spiegel sehen. Das Wort kurva schnitt dem Russen durch Augen, Mund und die knochigen
Wangen. Gott, sah der Bursche jung aus. In den Händen hielt er eine Waffe, die
auf Pavels Rücken zielte. Er sagte nichts, aber Pavel hob

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