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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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vom Haus hier
weg. Pavel wird beobachtet.«
    Der Junge
nickte schweigend und wog den Schmuck in der schmutzigen Hand. Seine Augen
kamen ihr so alt vor, sein Affengesicht so zerfurcht.
    »Iss noch
etwas in der Küche, bevor du gehst, und wärm dich am Ofen auf«, sagte sie. »Und
eine Sache noch: Wenn der Colonel dich mit den Ohrringen erwischt, werde ich
ihm sagen, dass du sie gestohlen hast.«
    Damit
wandte sie ihm den Rücken zu, setzte sich ans Klavier und begann Tonleitern zu
spielen. Sonja hörte nicht auf damit, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
     
    Die Wohnung lag in der Nähe des Potsdamer
Platzes, gleich im Zentrum, da wo drei der Sektoren an einem Punkt zusammenliefen.
Das Gebäude stammte wie so viele Berliner Häuser aus der Zeit der
Jahrhundertwende, mit fünf hohen Etagen, die um einen gemeinsamen Hof
angeordnet waren. Pavel ließ den Blick über die Fenster gleiten, aber der alles
durchdringende Frost machte es unmöglich, etwas durch die Scheiben zu erkennen.
Er drückte die Haustür auf, sie war unverschlossen. Bevor er nach drinnen
verschwand, sah er sich noch einmal um, ohne selbst genau zu wissen, warum:
ihm war nur so viel bewusst, dass seiner Schnüffelei etwas Anrüchiges
beiwohnte, dem er gern entkommen wäre. Da er nicht wusste, wonach er sich
umsah, entdeckte er auch nichts, nur ein paar fliegende Händler, die ihrer
Arbeit nachgingen, und einen Einäugigen, der sich am Straßenrand die Schuhe
band. Pavel machte die Tür hinter sich zu und fuhr mit dem Blick über die Namen
auf den Briefkästen. Er erkannte keinen von ihnen. Er hatte vergessen, Franzi
nach Belles Nachnamen zu fragen. Aber wahrscheinlich kannte sie ihn auch
nicht. Er zuckte mit den Schultern und stieg die Treppe hinauf.
    Der Soldat
verriet ihm die Wohnungstür. Das heißt, es war ein Polizist, der die Abzeichen
der von den Sowjets kontrollierten Polizei auf Kragen und Ärmeln trug. Er saß
rauchend auf einem Stuhl auf dem Treppenabsatz des vierten Stocks und sah nicht
auf, als Pavel an ihm vorbeiging. Der Boden um ihn herum war mit hunderten von
Zigarettenstummeln bedeckt. Der Mann musste schon seit Tagen dort sitzen. Wahrscheinlich
teilte er sich die Wache mit ein paar seiner Kollegen. Pavel versuchte
auszumachen, an welcher Tür der Russe interessiert war, und stellte fest, dass
sie eine Etage tiefer lag. Wenn der Wachposten den Hals etwas reckte und über
das Geländer blickte, konnte er sie sehen. Pavel blieb eine Weile auf dem
obersten Treppenabsatz stehen, tat so, als klingelte er bei jemandem, und ließ
schließlich einen enttäuschten, zweifellos viel zu theatralischen Seufzer hören
und stieg wieder hinunter zu dem Polizisten.
    »Guten
Tag«, sagte er auf Deutsch. »Eine lange, einsame Wache, wie?«
    Der Mann
nickte kaum mit dem Kopf.
    »Sie
müssen hier ja erfrieren. Keine Zeit für einen Kaffee?«
    Der
Polizist legte nichtssagend den Kopf zur Seite.
    »Sie
sprechen kein Deutsch, was?« Pavel lächelte, und der Mann antwortete ihm, indem
er ihm seinen Rauch ins Gesicht blies und mit dem Kinn weiterwinkte.
    »Was kann
hier so wichtig sein, dass sie einen Russenschläger in eine Polizeijacke packen
und hersetzen?«
    Er hob die
Hand zum Abschied, ging weiter nach unten und musterte unauffällig die Tür, als
er an ihr vorbeikam. Der Rahmen sah leicht beschädigt aus, als hätte sich
jemand vor nicht allzu langer Zeit gewaltsam Eintritt verschafft. Wenn er Glück
hatte, war die Wohnung nicht länger abschließbar. Unten im Parterre ließ Pavel
die Haustür zuknallen, zog die Schuhe aus und schlich wieder hinauf, die
Strümpfe weich auf dem eisigen Boden. Er bezog eine Etage unter dem Soldaten
Position und lauschte seinem Rauchen. Eine Minute Unaufmerksamkeit war alles,
was er brauchte.
    Er wartete
eine Stunde oder länger, und nichts geschah. Der Rauch des Soldaten erfüllte
das Treppenhaus, und alle zehn Minuten konnte Pavel hören, wie der Kerl ein
neues Streichholz anriss. Eine alte Frau kam an ihm vorbei, mit einer Schweizer
Kuckucksuhr und einer großen Tasche, die offenbar voller Kohlköpfe war. Sie
sah ihn an, wie er da in Strümpfen auf seinen offenen Stiefeln stand, die
Zähne zusammengebissen, damit sie nicht klapperten. Er legte einen Finger auf
die Lippen und deutete nach oben zu dem Wachposten. »Bitte«, sagte er tonlos,
mit vor Kälte ganz tauben Lippen.
    »Männer«,
murmelte sie und ging an ihm vorbei. Ihr Rücken war so gebeugt, dass man den
Eindruck haben konnte, das Gesicht wüchse ihr aus

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