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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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gesetzt. Eine
Hand durchsuchte seinen Mantel und seine Jacke. Sie fand die verbliebenen
Zigaretten, ein paar Dollar und Reichsmark sowie seinen Pass. Das alles wurde
auf einen Tisch nicht weit von ihm gelegt. Pavel konnte die Münzen auf der
hölzernen Platte hören. Still saß er da, drückte das Kinn vor die Brust und
legte die Hände in den Schoß. Nach einer unbestimmbaren Zeitspanne sprach ihn
jemand an, auf Englisch, mit einem ganz leichten Akzent.
    »Sie
dürfen jetzt Ihre Mütze absetzen, Mr Richter.«
    Er tat es,
bewegte seine Hände dabei langsam und blinzelte mehrmals. Der Raum wurde durch
einige von der Decke herunterhängende Glühbirnen hell erleuchtet. Pavel fand
sich ein paar Meter von einem schweren Eichentisch entfernt, dessen
Nazi-Ornamente grob mit einem Beil zerstört worden waren. Hinter dem Tisch saß
ein gut rasierter Mann mit grau meliertem Haar und einer Metallbrille, schlank
und ziemlich langknochig, nicht älter als vielleicht fünfzig Jahre. Er trug
einen Offiziersmantel, die Hände steckten in engen Lederhandschuhen, und vor
ihm auf dem Tisch dampfte ein Glas Tee. Ein gepflegter Mann, sogar gut
aussehend, nicht ein Haar in Unordnung, nur die Haut war ein bisschen gelb, als
hätte er sie sich von einem Toten geborgt. Pavels Pass lag in seiner Hand. Ein
zweiter Mann stand unangenehm nahe neben Pavels Stuhl, schwer gebaut und
wuchtig. Er war keiner von den Soldaten, die ihn hergebracht hatten, sondern
ein blonder, rotgesichtiger Junge mit Augen, aus denen das elektrische Licht
jede Farbe wusch. Blau vielleicht. Er stand locker da, man könnte auch sagen,
unverschämt, die Daumen hinter den Ledergürtel geklemmt, und kaute Tabak. Den
dritten Mann bemerkte Pavel nicht gleich. Er saß auf einem Hocker in der Ecke,
fast genau hinter ihm: ein dunkelhaariger Kerl mit einem melancholischen
Ausdruck auf dem Gesicht, der mit seinen Fingernägeln beschäftigt war. Er sah
kein einziges Mal auf, nicht einmal, um Pavels Anwesenheit zur Kenntnis zu
nehmen.
    »Rauchen
Sie?«, fragte der Offizier hinter dem Tisch. Eine gute Stimme, ruhig und
volltönend. Der Mund bewegte sich kaum. Ruhige Worte aus einem geliehenen
Gesicht.
    Pavel
nickte, um Zeit zu gewinnen. Sein Mund war trocken, und er fragte sich, ob er
um ein Glas Wasser bitten konnte. Der Offizier schob eines von Pavels eigenen
Päckchen Zigaretten bis an den Rand des Tischs, dazu ein Briefchen
Streichhölzer. Pavel wollte aufstehen, aber der Junge neben ihm stieß ihn
zurück auf den Stuhl und schrie ihn an.
    »Bleib
sitzen, du blödes Stück Scheiße!«, schnaubte er und spuckte dabei kleine
Tabakkrümel aus.
    »Sie
dürfen rauchen«, sagte der ältere Mann, »wenn Sie uns ein paar Fragen
beantwortet haben.«
    Pavel sah
ihn an und mühte sich, allen Zorn aus seiner Stimme zu verbannen.
    »Ich werde
nicht reden«, sagte er demütig und meinte es ernst.
    »Er wird
nicht reden«, lachte der Junge und wechselte vom Englischen ins Russische. »Wir
erwischen ihn auf frischer Tat in der Wohnung von dieser Nutte, und er will
nicht reden. Er ist nicht mal mehr in der Armee, keine Menschenseele weiß, dass
er hier ist, aber er will nicht reden.« Er wischte sich mit dem Handrücken
über den Mund. »Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er den verfluchten Onegin singen. Alle fangen an zu reden, wenn der Knoten erst mal
den Arsch erreicht.«
    Er sprach
mit einem georgischen Akzent, wie Pavel feststellte, wenn er dafür auch
ungewöhnlich helles Haar und helle Haut hatte.
    »Ich
sollte Ihnen sagen, dass ich Russisch spreche«, erklärte er ihnen mit ruhiger
Stimme. »Schon aus Gründen der Fairness.«
    Er sagte
es langsam, die russischen Vokale bedächtig mit dem Mund formend. Verblüfft
starrten sie ihn an, und eine Minute oder länger herrschte völliges Schweigen.
    So begann
eine seltsame Befragung, während der Pavel hartnäckig schwieg. Der Verhörende
und sein junger Helfer wurden merkwürdig einsilbig, hatten sie doch die Sprache
verloren, in der sie ihre Strategie hätten besprechen können. Dennoch ging der
blonde Mann immer wieder auf Pavel los, beschimpfte ihn und stellte Fragen.

»Hör mal,
du Schwein, was hast du in der Wohnung in der Lützowstraße 92 gemacht? Was hast
du mit Boyd Ferdinand White zu tun? Rede, oder es wird dir leidtun. Denkst du,
du behältst am Ende den Kopf oben? Dann denk noch mal neu. Wir zermahlen dich
zu Staub und spülen dich das Klo runter, du Strauchdieb!«
    »Stricher!
Wir wissen, was du bist. Gesteh schon! Sei ein Mann

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