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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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und red's dir von der
Seele. Was ist mit Söldmann? Ist er tot? Haben ihn die Amerikaner? Und was ist
mit dem Mädchen? Wo ist sie? Sprich, oder ich schwöre, ich reiß dir die Ohren
ab.«
    »Hund!
Rede, oder ich zertrümmere dir den Schädel und piss in ihn rein, verstehst du?
Wer hat die Ware? Nenn deinen Preis. Russland ist riesig, Russland ist reich.
Du kannst hier mit Gold übergossen rausmarschieren oder mit Krücken, es liegt
in deiner Hand.«
    Aber trotz
der vielen farbenfrohen Worte ließ die Vorstellung einiges an Enthusiasmus
vermissen. Pavel hatte den Eindruck, dass der Mann ein Programm abspulte und
sich vor seinem Chef in Szene setzte, um sich sein Abendessen zu verdienen.
Nach jedem Ausbruch, bei dem der Mann mit geballten Fäusten vor ihm auf und ab
stapfte, das Gesicht von der Farbe einer reifen Pflaume, folgten Minuten des
Schweigens, die mit Fortschreiten des Tages zu halben Stunden wurden. Sehr zu
Pavels Überraschung machte der Junge keinerlei Anstalten, ihn tatsächlich zu
schlagen. Ein- oder zweimal schien er kurz davorzustehen, hob eine Faust hoch
über den Kopf oder holte mit dem Stiefel aus, als wollte er ihn vor das
Schienbein treten, aber jedes Mal hielt er schließlich inne, nahm seine Bewegung
wie unter Zwang wieder zurück und verfiel erneut in eine Tirade. Gelegentlich
ließ sich der Mann auf dem Hocker dazu herab, die Frage seines Kollegen noch
einmal zu wiederholen, allerdings ohne die Beleidigungen. Er sprach so leise,
dass Pavel ihn kaum verstehen konnte. Dazu verschliff er die Worte, als wäre er
betrunken. Währenddessen saß der Offizier ruhig hinter seinem Tisch. Zweimal
erhielt er einen Anruf auf seinem schwarzen Bürotelefon und antwortete immer
nur einsilbig mit einem »da«. Das Glas
Tee vor ihm war schon lange kalt.
    Pavel
blieb wie versprochen bei seinem Schweigen. Nicht, dass er unhöflich sein
wollte, und schon gar kein Held. Zunächst war er einfach unsicher, was er ihnen
gestehen sollte, und wusste auch nicht, was seine Worte für Folgen haben
würden. Er wollte nicht lügen, und zu schweigen schien ihm die beste Strategie,
Informationen zu sammeln, ohne selbst welche zu geben. Er sah Boyds Leiche vor
sich. Sein Pass hatte ihn nicht geschützt. Er fragte sich, was passieren
musste, damit die Russen auch auf seinen nichts mehr gaben.
    Und dann,
dort auf dem harten, hölzernen Stuhl, den Atem des russischen Jungen im
Gesicht, erfasste ihn noch eine andere, so plötzliche Empfindung, dass er
beinahe aufgeschrien hätte. Ihm war, als arbeitete sein Gehirn mit einem Mal
wieder normal. Die Watte, die seine Welt eingehüllt hatte, seit er krank
geworden war, löste sich auf, und die Bilder vor seinen Augen gewannen ihre
alte Schärfe zurück, von der Maserung des Holzes bis zum monotonen Ticken der
großen Bürouhr über dem Eingang. Gedanken und Empfindungen durchströmten ihn
und verlangten Gehör. Dabei eilte Sonja der Konkurrenz weit voraus und erzwang
seine Aufmerksamkeit. Er kam ins Grübeln.
    Auf ihrer Oberlippe, grübelte er, sind Barthaare. Ein dunkler Flaum. Im Alter werden sie immer dichter
wachsen.
    Sie hat mir das Leben gerettet, grübelte er. Jeder Mann wäre ihr dafür dankbar. Ein Herz voller Dankbarkeit. Das ist
nichts Überraschendes.
    Aber warum geht sie mir so im Kopf herum?, fragte er
sich. Es muss mit der Art zu tun haben, wie
sie gestern hereinkam und mir schon wieder geholfen hat. Warum hat sie das überhaupt
getan? Sie war nicht im Geringsten überrascht wegen der Leiche. Und natürlich
ist sie die Geliebte des Colonels. Er steckt in allem mit drin, der Colonel.
    Und dann
schrie ihn der Rüpel wieder an und unterbrach seine Gedanken. Das ärgerte Pavel
ungemein, und zum ersten Mal während des stundenlangen Verhörs spürte er, wie
seine Augen vor Wut blitzten.
    Dann
endlich, die Uhr über der Tür zeigte an, dass es bereits weit nach zehn war,
kam die Befragung zu einem abrupten Ende. Eine Frau in einer eleganten Uniform
kam herein, darauf bedacht, den Blick nicht auf den Gefangenen zu richten. Sie
beugte sich über den Tisch und flüsterte dem Offizier etwas ins Ohr. Hinten in
ihren Strümpfen reihten sich mehrere Löcher aneinander, und die Haut, die
darunter zum Vorschein kam, war rot vor Kälte. Der Offizier hörte ihr zu,
fragte etwas und wischte sich mit dem Handschuh über das Gesicht, als wollte er
sich vergewissern, ob es noch da war. Nachdem die Frau wieder gegangen war,
machte er einen schnellen Anruf. Er wählte keine Nummer, sondern

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