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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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genug zugeneigt, um sich vorstellen zu können, dass Sie
glücklich sind, dort unter seinem Mund. Und in dem Moment hat es auch mich
glücklich gemacht. Fast hätte ich gelächelt.
    Allerdings,
wenn Sie da auf dem Bild sind, werden Sie wohl auch wissen, wie er gestorben
ist, und wenn Sie das wissen, aber mir davon nichts sagen wollen, dann weiß es
auch Fosko, und alles war eine einzige Lüge, selbst die Leiche, die mir das
einzig Wahre zu sein schien. Es hätte mich verrückt machen müssen, wissen Sie.
Hätte es müssen! - Mein Freund tot, und Sie lassen mich zappeln, Sie, die in
seinen Armen so glücklich aussieht, in dieser Sekunde, obwohl Sie ihn natürlich
gehasst haben. Wissen Sie, ich habe Sie mir vorgestellt, in Ihrer Wohnung,
noch bevor ich das Foto sah, meine ich. Stolz habe ich Sie mir vorgestellt, was
Sie ja auch sind, und dass sie nicht alles mit sich machen ließen. Eins von
ihren Höschen habe ich in Händen gehalten, ein rotes Seidenhöschen. Die Russen
haben sie nicht mitgehen lassen, was bedeutet, dass ein Offizier sich um Ihre
Wohnung gekümmert hat, auf Befehl von oben, von weit oben. Das wiederum heißt,
dass Boyd in etwas Wichtiges verwickelt war, was es auch gewesen sein mag,
oder es ging um Geld, was am Ende wohl das Gleiche ist. Rote Höschen, Sonja.
Werden Sie mir vergeben, wenn ich sage, dass sie mir geschmacklos erschienen?
    Ich habe
jedenfalls versucht, zornig zu sein. So wahr mir Gott helfe, Sonja, das habe
ich. Selbst eben noch, bevor ich hier hereinkam, habe ich versucht, mich in
Rage zu bringen. Um hier hereinzubrechen und Ihnen eine Szene zu machen. Sie
vielleicht gar ins Gesicht zu schlagen. Nur hätten Sie sich das nicht gefallen
lassen, richtig? Sie hätten zurückgeschlagen, mit der Faust gegen mein Kinn,
und mich anschließend mit Riechsalz wieder aufgeweckt, die Brauen
zusammengezogen und neugierig, warum ich diese Farce wollte. >Pavel<,
hätten Sie gesagt, >ich habe nie behauptet, jemand anders zu sein.< Und
ich hätte mich aufgesetzt, Sie beschwichtigt und gebeten, Klavier zu spielen.
Später dann, während Sie mir den Rücken zukehrten, hätte ich Ihnen, trotz des
Kloßes in meinem Hals, vielleicht gesagt, dass ich ein Bild von Ihnen gesehen
hätte, nackt, den Mund meines besten Freundes auf Ihrer Haut. Und wie schön Sie
auf dem Foto aussehen. Vielleicht hätte Sie das glücklich gemacht, verstehen
Sie, wenigstens ein bisschen, und die Welt käme Ihnen nicht mehr so schäbig
vor.
    In mir ist
heute in dem Augenblick, da ich hinaus auf die Straße trat, eine seltsame Liebe
zum Leben erwacht. Gier, nennen wir es Gier, eine dostojewskische, russische
Art von Gier. Es ist wie in jener Szene, in der Iwan, Sie haben doch Die Brüder Karamasow gelesen?, er ist dieser
schwerfällige Intellektuelle, der eine Rebellion gegen Gott plant, Gott, hören
Sie!, diese Szene, in der also Iwan mit seinem jüngeren Bruder Aljoscha spricht
und zugibt, dass er ein >Grünschnabel< ist. Genau das Wort benutzt er,
>Grünschnabel<. Er spricht von Revolution, und es ist eine Grünschnabelrevolution,
und angesichts dieser Wahrheit seines Seins muss er zugeben, dass das Leben
das Einzige ist, was für ihn von Bedeutung ist, das Ein und Alles, verstehen
Sie, das Leben. Er brabbelt sogar was über >klebrige Frühlingsknospen<,
etwas Sexuelles auf jeden Fall, und einen Moment lang sieht es so aus, als
bezwänge die Jugend alles.«
    Pavel
seufzte. »Oh, Sonja«, sagte er. »Verstehen Sie denn eigentlich, was ich Ihnen
hier zu sagen versuche?«
    Mit
ernstem Blick sah er auf, die Augen nasse Kohlen und den Hauch eines Lächelns
auf dem Gesicht. Sonja saß einfach nur da, hörte dem ganzen Unsinn kaum zu,
betrachtete seine Lippen und fragte sich, wie es sich anfühlen würde, Pavel zu
küssen. Reglos saßen sie da, während der Affe in der Ecke hockte und einen
stinkenden Haufen auf seine Decke setzte. Er hatte eine Verdauung wie ein
Kleinkind.
    »Tja«,
sagte Pavel, »so ist es nun mal.« Er hielt inne und betrachtete sie eingehend.
»Wollen Sie mir erzählen, wie Boyd gestorben ist?«
    »Es ist
spät, Pavel. Morgen.«
    »Dann gehe
ich jetzt besser schlafen.«
    Er stellte
seine Tasse auf den Tisch und erhob sich mit steifen Gliedern.
    »Geh
nicht«, sagte sie und knöpfte sich langsam die Jacke auf.
    Er wurde
rot und starrte sie sprachlos an.
    »Der
Colonel lässt dich beobachten. Er hat mir gesagt, ich soll ... die Nacht mit
dir verbringen. Er wird es erfahren, wenn du jetzt gehst.«
    Er nickte
müde und

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