Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wach auf, wenn du dich traust

Wach auf, wenn du dich traust

Titel: Wach auf, wenn du dich traust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Mohr
Vom Netzwerk:
nicht, als sie sich in der Küche darüber unterhalten haben. Aber ich habe gestern genauso wenig geschlafen wie in der Nacht im Wald.
    Pa scheint nicht zu kapieren, dass es überhaupt nichts mit den anderen zu tun hat, weshalb ich so wütend bin. Ich bin doch nur wütend auf mich selbst!
    Weißt du, was das Schlimmste ist? Dass ich noch nicht mal die Frage beantworten kann, ob ich es nicht mitkriegen wollte oder ob ich es tatsächlich nicht mitgekriegt habe. Das quält mich total. Ich habe rumgegrübelt und grübele noch immer, wie es eigentlich sein kann, dass ich die Sache mit den Kanus ignoriert habe. Und dann das mit den Rucksäcken. Das konnte man eigentlich nicht ignorieren. Warum habe ich trotzdem mitgemacht? Denn das habe ich ja, irgendwie! Man kann sich ja gar nicht raushalten. Das ist eine Illusion, denn auch wenn man einfach wegschaut, macht man mit.
    Meine Eltern finden es voll verständlich, dass ich Angst hatte und mich rausgehalten habe. Aber ich kann das nicht mehr verstehen. Wenn ich ehrlich sein soll, dann kotzt mich ihr verständnisvolles Getue ganz schön an. Als ob ich diejenige wäre, der etwas Schlimmes passiert ist! Als ob ich diejenige wäre, die im Koma liegt und vielleicht nie wieder wie vorher werden wird, wenn sie wieder aufwacht!
    Weißt du, wovor alle eine Heidenangst haben? Dass deine Eltern kommen. Es gab einen Sturm, deshalb ging gestern keine Fähre von der Insel. Das hat mir Beate erzählt. Ein paar Stunden Gnadenfrist haben wir also alle noch. Wenn deine Eltern kommen, werden sich alle unsichtbar machen, glaub mir. Alle! Auch die, die am lautesten herumposaunen, dass sie nichts damit zu tun haben.
    Ich hoffe, dass ich es schaffe, sie anzusehen, wenn sie hier sind. Es macht mir Angst, aber ich will es. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Ich habe dich nicht in diesen Zustand gebracht, aber ich hätte es verhindern können. Und auch wenn alle versuchen, mir das auszureden, weiß ich trotzdem, dass es so ist. Und es tut mir schrecklich leid.
    Seit gestern bin ich übrigens Mitglied bei Amnesty International. Wenn man so den ganzen Tag im Internet herumsucht, findet man ja alles Mögliche. Und plötzlich war diese Seite da und ich wusste sofort, was ich machen muss.
    Vielleicht habe ich mich ja auch nur angemeldet, damit ich mich ein bisschen weniger schuldig fühle. Aber das kann denen von Amnesty eigentlich egal sein. Ich will nie wieder das Gefühl haben, dass ich nichts tue, sondern mich nur um meine Reitstunden sorge, während neben mir anderen Menschen schlimme Dinge passieren.
    Amnesty International setzt sich für Menschen ein, die irgendwo in Gefängnissen sitzen, weil sie irgendjemandem nicht passen oder weil sie sich für etwas Richtiges eingesetzt haben.
    Fast wie bei dir. Ich weiß ja nicht, ob du mich hören kannst. Vielleicht bist du ja auch in so was Ähnlichem wie einem Gefängnis.
    Ach, das hätte ich fast vergessen: Ich habe dir was mitgebracht. Im Internet stand, dass sich Menschen, die aus dem Koma erwachen, manchmal an einen Geruch aus der Komazeit erinnern können – das heißt also, dass ein Geruch dich erreichen kann. Er muss nur möglichst stark sein. Ich habe dir das Rasierwasser meines Vaters mitgebracht. Das war der stärkste Duft, den ich auf die Schnelle auftreiben konnte. Ehrlich gesagt, es stinkt fürchterlich.
    Mir ist klar, dass wir wohl niemals Freundinnen werden können. Ich könnte verstehen, wenn du niemanden von uns jemals wiedersehen willst. Aber ich will so gerne einmal mit dir sprechen, weil ich dich eigentlich überhaupt nicht kenne.
    Und wenn du behindert bist, wenn du aufwachst? Ich glaube, das ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte.
    Ich will dir wenigstens sagen können, dass es mir leidtut. So, dass du es auch wirklich hörst.

Jenny
    Für den ersten Tag stand eine Kanutour auf dem Programm. Nach dem Frühstück teilte Beate die Schwimmwesten aus. Nicht jeder der Jugendlichen hatte schon einmal in einem Kanu gesessen, das war klar. Jenny war mit ihren Eltern ein paar Mal gerudert, doch da war sie noch ziemlich klein gewesen und sie konnte sich nicht mehr wirklich daran erinnern.
    »Und?«, fragte Ben, der neben ihr stand und sie anlächelte. »Kennst du dich damit aus?« Er deutete auf die Boote, die am Ufer aufgereiht waren.
    »Nicht wirklich«, sagte Jenny. »Du?«
    Er lachte auf. »Überhaupt nicht. Aber ich lass mich auf alles ein.«
    Er sah mit leuchtenden Augen auf den See und grinste, als Frederik ihm auf die

Weitere Kostenlose Bücher