Wach auf, wenn du dich traust
Spitzwegerichstängel herum. »Na?«, machte sie, als habe sie Jenny heute noch nicht gesehen.
»Debbie, du weißt, dass…«
»Was!«
»Dass das nicht stimmt«, flüsterte Jenny. »Du weißt es! Der kann doch Finn jetzt nicht hier vor allen zur Sau machen! Und noch dazu allen verbieten, mit ihm zu sprechen?!«
»Was soll das, komm mal wieder runter«, stöhnte Debbie und kramte weiter in ihrem Rucksack herum. »Sag mal, hast du vielleicht mein Regencape gesehen?«
»Nein«, erwiderte Jenny. »Keine Ahnung. Debbie, jetzt sag doch was dazu! Das ist doch kein Spaß mehr!«
»Ach«, Deborah schlug sich mit der Hand an die Stirn, »das hängt über der Wäscheleine, ich Idiot.« Sie lachte laut und ging dann nach draußen. Jenny schluckte, doch ihr Mund war völlig ausgetrocknet.
Dann musste sie plötzlich an ihren Vater denken. Ich bin wie er, dachte sie, der wittert auch überall Ungerechtigkeiten. Diesen übertriebenen Ernst, überall das Schlimmste zu vermuten, das habe ich von ihm. Markus musste ja was machen, der konnte das mit den Joints ja nicht einfach so stehen lassen. Und die Minuspunkte mussten sie ja nun auch alle gemeinsam ausbügeln.
Es war ein Streich. Ein Scherz. Nichts als ein Scherz.
Ich bin erst seit zwei Jahren in diesem Dorf, die kennen sich schon ewig. Ich bin verrückt. Ich spiele hier die Hysterische.
Nicht mal Finn hat sich ja wirklich beschwert. Also warum mache ich mich so verrückt?
Gedankenverloren sammelte sie ein paar Klamotten in ihren kleinen Faltrucksack und ging dann nach draußen, um Beate zu suchen. Jenny hatte heute Küchendienst und das bedeutete auch, die Essenspakete vorzubereiten.
Sie fuhr mit den Fingernägeln über die Plane an Beates Zelteingang.
»Da bist du ja schon. Fertig?«, fragte Beate. Jenny nickte.
»Bin gleich da«, sagte Beate und Jenny hörte sie im Zelt herumrumoren. Schließlich trat sie in Wanderschuhen und mit Rucksack bewaffnet heraus.
»Alles klar«, sagte sie, »dann wollen wir uns mal ums leibliche Wohl kümmern.«
Sie schloss die Tür zu der Vorratshütte auf und gemeinsam legten sie den Proviant, den sie mitnehmen wollten, auf den Tisch: Brötchen, Käse, Salami, Bananen, Äpfel, Getränke.
Jenny schnitt schweigend Brötchen auf.
»Du wirkst so nachdenklich«, sagte Beate irgendwann, »ist irgendwas?«
»Wegen vorhin«, sagte Jenny. »Das waren nicht Finns Sachen. Das hat ihm jemand unters Kopfkissen gelegt.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Beate.
Jenny zögerte. »Ich will niemanden in Schwierigkeiten bringen«, sagte sie leise. »Aber ich weiß, dass es nicht Finn war. Der hat an den Joints noch nicht mal gezogen!«
»Warst du denn dabei, dass du das so einfach behaupten kannst?«
Jenny nickte zögerlich.
Beate sah sie an und seufzte. »Na, wenigstens bist du ehrlich«, sagte sie. »Warst du denn im Jungszelt?«
»Natürlich nicht.«
»Also hast du nicht gesehen, wer Finn das Zeug unter den Schlafsack gelegt hat?«
»Nicht wirklich, aber…«
»Es könnte also doch Finn gewesen sein?«
»Schon«, sagte Jenny, »aber das glaube ich nicht.«
Beate legte ihre Hand auf Jennys Schulter. »Ich finde es ja schön, dass du dich für einen anderen so einsetzt, Jenny«, sagte sie, »aber Markus hat bei so was einfach echt viel Erfahrung. Der kennt seine Kandidaten, glaub mir. Und ich bin mir sicher, dass er sorgfältig abgewogen hat, was er tun soll. Für die Gruppe war es sicherlich das Richtige, weißt du?«
»Ich weiß nicht«, sagte Jenny, »ich habe einfach kein gutes Gefühl.«
Beate nahm ihren Arm von Jennys Schultern. »Gefühl, Gefühl… Es bringt nichts, immer alles auszudiskutieren, nur weil jemand kein gutes Gefühl hat«, sagte sie.
»Aber wenn etwas unfair ist?«
Beate lächelte. »Ihr findet immer schnell alles unfair. Aber du darfst nicht vergessen, dass Markus das schon seit fünfzehn Jahren macht! Ich sag dir, der hat Erfahrung, der kennt seine Pappenheimer – und mal ehrlich, Finn hat es ja nicht mal sehr überzeugend abgestritten. Was blieb Markus also für eine Wahl?«
Jenny nickte und versuchte, mit aller Kraft nachzuvollziehen, was Beate sagte. Versuchte, es genauso zu sehen. Sie nickte nochmals und versuchte ein Lächeln.
Beate strich Jenny über den Kopf. »Du musst Vertrauen haben«, sagte sie und lächelte. »Vertrauen. Und denk doch mal: Markus macht sich immerhin Sorgen um Finn. Er bestraft ihn ja nicht. Er will ihm helfen.«
Plötzlich hatte Jenny ein unerträgliches Gefühl von
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