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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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kauft August Falafelbällchen und zuckrigen Fruchtsaft, beim Essen betrachtet er die Fotos von Hähnchensandwichs an den Wänden.
    Als er weitergeht, fallen ihm die Mundhöhlen der Passanten auf, es gibt hier viele Zahnlücken, schiefe und dunkle Gebisse, bei den Ausländern, aber mehr noch bei den verbliebenen Einheimischen. Ein dünner, geschorener Mann, dem etwas Gehetztes und zugleich Bedrohliches im Blick liegt, die Wirkung einer Droge wahrscheinlich, zeigt beim grundlosen Lachen eine Reihe schwarzer, fauliger Stummel; der Mann ist jung und wirkt alt, August wendet den Blick ab, er fürchtet, der unberechenbar wirkende Mann könnte sich beobachtet und attackiert fühlen. Vor einem türkischen Fischgeschäft steht ein Kundenstopper mit dem ausgeblichenen Plakat Endlich wieder Matjeszeit! Ein Gemüseladen wirbt mit dem Schild Wir sind besser mit Frische . August bleibt vor den Auslagen stehen: Die satten Farben sind weit in den Gehweg gerückt. Zwei Stare lassen sich auf den Kirschen nieder, der Verkäufer jagt sie weg, dreimal, viermal. Da spricht von der Seite ein Türke oder Araber August an, ein behäbiger Mann im mittleren Alter, mit sanfter Stimme: «Entschuldigen Sie, könnten Sie mir vielleicht», und August senkt gleich den Kopf und geht, mit der Andeutung eines Kopfschüttelns, weiter, bleibt gleich darauf, unverhältnismäßig aufgewühlt, stehen und schaut zurück. Der Mann wendet sich jetzt an eine junge Frau mit Kopftuch und Kinderwagen, an noch eine, beide spricht er auf Deutsch an, bemerkt August, fast gerührt, und überlegt, umzukehren und dem Mann etwas Kleingeld zu geben, und geht weiter. Es sind auffällig viele Männer unterwegs, mehr junge als alte, und das am Dienstagnachmittag; scheppernde Melismen aus Handys begleiten ihr Herumstreunen. August schlendert an Dönerbuden und Drogeriediscountern, Handygeschäften und Solarien vorbei, die Straße ist ein Konsumdebakel. Zwischen zwei Häusern klafft eine Baulücke, auf der ein Billigkaufhaus ein großes weißes Zelt errichtet hat; Werbetafeln auf dem Gehweg kündigen an: Aktionen! , und August stellt sich vor, dass ein Artist im Verkaufszelt Kunststücke vorführt, auf einem Einrad zwischen Warenstapeln herumfährt und Schwerter schluckt. Die Tür eines Friseurladens steht offen, drinnen sitzt ein dicker Junge, dem mit einer surrenden Maschine der Hinterkopf und die Seiten rasiert werden, sodass ihm nur eine Art Armeebürste auf dem Schädeldach bleibt. Er hätte, denkt August an der nächsten Ampel, Lust gehabt, dem Bettler etwas Unerwartetes zu geben, etwas Maßloses, sein Blackberry oder seine Kreditkarte. Ein Kinderwagen kommt ihm entgegen, in dem ein Junge hockt, der dafür zu groß ist, er hat die Beine spitz angewinkelt, seine Knie ragen in die Luft wie Rammböcke oder Hörner. «Der sitzt wie eine Banane», wird August von einer alten Frau angesprochen, sie hat, denkt August, beobachtet, wie ich das Kind beobachte, «ein Kind sollte nicht wie eine Banane sitzen», sagt die Frau und geht, ohne auf Antwort zu warten, kopfschüttelnd weiter.
    August biegt in eine Seitenstraße ab, in der unsanierte Gründerzeithäuser stehen, notdürftig verputzt, wie voller Schorf; dichte Baumkronen dimmen das Tageslicht, Zweige und Blätter drücken sich gegen die Fenster. Hier, in der Peripherie der billigen Einkaufsstraße, verändern sich die Geschäfte, ein Trödelhändler ist da, ein Polski Sklep , sogar ein Bioladen und ein Spielwarengeschäft mit vollen Schaufenstern: pechschwarze Fahnen und gekreuzte Knochen, rosa Prinzessinnenköfferchen und Schminksets, Holzspielzeug, Ritterfiguren, Baumaschinen, dazwischen das Buch Was ist was: Zeit . Ein Geschäft mit Zeitungen, Getränken und Konserven nennt sich Tante-Emine-Laden , das geht August zu Herzen: Mit der Geschäftsform verschwindet auch der Begriff, nur eine Weile wird er noch bewahrt von einer türkischen Frau, wie lange wird es ihren Laden geben? Etwas Weißes leuchtet die Straße herauf, faltenloses Strahlen: eine weite Tunika, ein breiter Kapuzenkragen, und darüber die zerknitterten Gesichtszüge eines alten Mannes; obwohl in lose Stoffe gehüllt, erscheint sein Körper muskulös. Der Mann geht auf besondere Art, leichtfüßig, als sei für ihn die Schwerkraft ein wenig reduziert. August sieht, wohin der Mönch gehört: Auf der anderen Straßenseite verläuft, der Markthalle ähnlich, eine rote Backsteinfassade mit einem Portal, über dem Dominikanerkloster St. Paulus steht. Im Weitergehen

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