Wach (German Edition)
sicher großartig. Streicher, Frieda, wo kommst du her, und flächig ergießt sich warmes Licht über den Berg, wo gehst du hin, wann kommst du wieder; der Berg ist nun ein gigantisches Wabern, Frieda, zahllose Lichtkegel kreisen entgrenzt, und unter dem Tuchsaum dringen dünne Dampfschwaden hervor, Lasersäulen richten sich auf, Tannhäuserposaunen. August schielt Gundel an, ihr Schmuck klirrt, ihr eigenes Zauberwerk entzückt sie, ihre Augen leuchten vor Freude darüber, wie alles gelingt. Weiß sie denn nicht, dass sie einmal sterben wird? Da wird das Tuch von unsichtbaren Kräften in die Lüfte gezogen, und – doch noch immer kommt nicht das Bauwerk zum Vorschein, nur eine dichte Wolke weißen Dampfs. Wieder illuminieren Scheinwerfer die Schwaden, in sirrenden und zuckenden Spektralfarben. Erst allmählich scheint der Dampf zu begreifen, dass das Tuch gelüftet, dass seine Begrenzung aufgehoben ist, und die Wolke gerät in freiere Bewegung, löst sich zu den Seiten – es ist, als spritzte Gischt, als zerstöbe der Sprühnebel eines Wasserfalls –, und von unsichtbarer Hand gelenkt, öffnet sich in der Mitte des Dunstes ein Loch: Auf tritt ein feuriges Ross über Felsen, von einem Nackten nur mühsam im Zaum gehalten, und da zur Rechten ein weiteres Pferd, ein zweiter Nackter greift ihm in die Mähne und sich in den Bart, und in der Mitte über den beiden, als Spitze einer Dreiecksfigur, ein muskelbepackter Zausel, die Scham von wild wehendem Stoff bedeckt, Kraftprotz im rossgezogenen Muschelwagen: Neptunus, Gott des fließenden Wassers! Ein dynamischer Auftritt, alles scheint in Bewegung, Nebelwabern, Lichterzucken, Walkürenritt, ein paar Zuschauer sind zurückgezuckt und haben die Köpfe eingezogen, bis sie die Illusion begreifen; dann erst, als noch mehr Wassernebel zerstiebt, ergießt sich aus dem Dreieck die wahre Hauptfigur: das Wasser, und fließt über die Ränder sich ausbreitender Schalen in ein weites Bassin. Der Brunnen ist enthüllt. Das Licht beruhigt sich. Die Musik fließt, wie das Wasser ins Becken, in einen gemächlichen Takt. Applaus brandet auf. Doch – was? War der Schluss nur Schein? Die Musik gleitet hinüber in einen heiter-nostalgischen Bossanova, und am Rand, aus den letzten Resten des Nebels, materialisiert sich eine weißumhüllte Gestalt, wie Gott und Tritonen scheint auch sie zu atmen, zu fließen, sich zu drehen, ja zu tanzen – und wirklich, diesmal ist es keine Täuschung, der erste Schleier fällt, es ist wirklich ein Tänzer – eine Tänzerin – es ist Peggy Fleck! Wasserfunken sprühen jetzt in allen Farben, im Kunstlicht ersteht ein Regenbogen. Wieder Applaus. Peggy dreht sich im Kreis, nun wird klar: Auch ihr weißes Kleid ist nur Schein, es ist drapiert aus einer Vielzahl von dünnen Schleiern. Daa-damdam, dudelt der Bossanova. Weitere Schleier fallen. Und nur noch leicht umhüllt, taucht Peggy ins Wasser ein, und wieder auf, mit nassem Haar, ihr Kleid ist nun durchsichtig, der Stoff nur mehr ein feuchter Hauch, der den Formen ihres Leibes folgt. Peggys Weichheit, ihre Rundungen wirken als laszives Opfer, das sich dem Gottzausel darbietet. Nun fällt auch der letzte Schleier, die Musik ist aus, das Licht hält still, richtet sich nur auf Peggy, und da steht sie vor tausend Augen in unberührbarer Nacktheit, verborgen im Licht des künstlichen Mezzogiorno, künstlich auch sie: die Skulptur einer splitternackten Schönheit – bis sie keck ins Publikum plinkert und mit einem Hechtsprung durch den Wasserfall ins Backstage entschwindet. «Brava!», donnert ein Ruf von der Galerie herab, tosender Beifall bricht los.
Unbemerkt haben vier Italopopper die Bühne betreten und beginnen ihr Programm:
Si-si-si-
siamo arrivati alla
strada! Fa-fa-fa-
cciamo, cciamo, cciamo una
festa! Tu-tu-tu-
tutti insieme!
Die Ehrengäste stehen auf, die Menge setzt sich in Bewegung, ein gelassenes Hin und Her. Die Ersten werfen schon Münzen in den Brunnen (sie werden in die Mall zurückkehren). An verschiedenen Ecken des Marktplatzes zeigen Straßenartisten und Jongleure ihre Künste. «Ich glaube», sagt Gundel lachend zu August, «ich mach Peggy zum Standard.» In der Menge entdeckt August Manja, sie winkt ihm zu und macht ihm Zeichen (alles Gute? später auf einen Kaffee?). Er aber würde jetzt gern vor sich hin gehen, mit seinen Schritten Triolen auf den Viervierteltakt der Musik legen. Er hat das Bedürfnis nach Ruhe. Jetzt muss er noch dies und das erledigen, sich bedanken,
Weitere Kostenlose Bücher