Wach (German Edition)
etwas Tragisches, nichts Trauriges. Gibt es Puccini?» «Erst im Oktober.» «Gunnel!», ruft Pit, und August stellt sich breitbeinig hin, sodass Pit unter ihm durchrennen kann.
«Warst du als Kind auch immer bekümmert», fragt Manja später, mit gedämpfter Stimme, «wenn du am nächsten Tag Geburtstag hattest? Weil du schon vorher wusstest, dass der Geburtstag so schnell wieder vorbei sein würde und dass du, je näher der Abend käme, desto trauriger sein würdest?» August liegt auf dem Sofa, Manja sitzt auf dem Boden und baut einen Palast aus Pits Klötzen; aus dem Kinderzimmer, das dunkel hinter der spaltbreit geöffneten Tür liegt, kommt kein Mucks mehr. «Und wenn der Abend dann da war und der Geburtstag vorbei, habe ich mir immer gewünscht, es gäbe überhaupt keine Geburtstage.» Sie kneift die Augen zusammen und schaut August an. «Jahrelang hatte ich dieses Gefühl vergessen. Aber jetzt, wo ich Kinder habe, ist es zurückgekehrt. Pit kennt es noch nicht, und Salome lernt es erst allmählich. Also bin ich diejenige, die an den Kindergeburtstagen erlebt, wie das Glück trübe wird, und schließlich die Traurigkeit, dass der Geburtstag meines Kindes vorübergeht. Dann lasse ich die Luftballons an der Wand und die Girlanden über der Balkontür noch tagelang hängen; bis ich mir einbilde, sie sind verwelkt, wie Blumen.» «Das ist aber traurig», murmelt August. Dabei denkt er, schon halb umnebelt, seltsam klar, ich habe keine Angst. «Aber auch ziemlich lächerlich, nicht?», hört er Manjas Stimme, «schau, wie prächtig mein Palast ist, und hör nicht auf mein Gefasel. Ich verderbe dir deinen Geburtstag ja schon im Voraus. Dabei hast du morgen viel zu tun. Ich werde übrigens kommen und mir alles ansehen, den Stand mach ich einfach dicht.» Nein, ich habe keine Angst, denkt August, und es ist auch nicht lächerlich, es ist schön zu denken, wenn ich gestorben sein werde, wird alles weitergehen; das ist ja sogar irrsinnig komisch, und er kichert, wie alt wirst du eigentlich, kommt es wie durch eine Wand, von weit weg – August schläfst du
Heute ausgerechnet nieselt es; und ausgerechnet heute, am schummrigsten Tag seit Wochen, sieht August klar, er ist auf den Punkt präsent. Nur kurz nach dem Aufwachen, wenige Minuten, hat er sich betäubt gefühlt vom ungewohnt langen Schlafen. Manja war da schon mit den Kindern auf dem Sprung, auf dem Küchentisch standen Kaffee und ein Küchlein. Jetzt blickt er hellwach durch die tropfenverhangenen Straßenbahnfenster, meint aus der fahrenden Straßenbahn die winzigsten Plättchen im Boden zu erkennen; ihm ist, als befände er als einziger Mensch sich nicht unter der Dunstglocke, die feucht über der Stadt hängt. Die Straße ist verstopft, der Stau hupt, achtlose Autos stehen der Straßenbahn im Weg und werden mit Geklingel verscheucht. August denkt, alles ist diesig, während ihm klar ist; wieder also ist sein Zustand inkongruent zur Welt. Das Handy in seiner Hosentasche vibriert, er zieht es heraus, eine Nummer aus London. Die Tram bremst scharf, einige Fahrgäste fallen fast hin, eine Frau bekommt einen Schulranzen in die Nieren. August steckt das Handy wieder ein und schaut nach vorn: Die Bahn ist auf einer nassen Kreuzung stehen geblieben, blockiert von einem abgeschabten Lieferwagen, «das hätte fast gekracht». Im Lieferwagen kurbelt ein älterer Araber das Fenster runter, neben ihm sitzt eine bis auf den Augenschlitz schwarzverschleierte Frau. Der Araber und der Straßenbahnfahrer beschimpfen sich. Schließlich gibt der Araber nach, schließt das Fenster und setzt den Lieferwagen zurück. Die Frau unter dem Schleier scheint zu keifen, aber durch die Scheiben ist nichts zu hören, und ihre Mimik ist verborgen, der Mund bedeckt, nur das Stück Tuch darüber wackelt, sodass es aussieht, als klappte die ganze untere Gesichtshälfte der Frau stumm rauf und runter. Ein Fahrgast brummt dem Auto böse Wünsche nach. August schaut auf die Uhr, um acht ist er mit Gundel G. Avenarius verabredet.
Die Mall bebt, die Mall platzt aus den Nähten; doch statt zu bersten, zieht sich ihr Innenleben zur Mitte hin zusammen, aus sieben Gängen drängt alles zum Weißen Berg. Obwohl, denkt August, der von oben kommt, die Menschen drängeln, schieben, zwängen, stehen sie auf der Rolltreppe still, wie ausgeschaltet. August will so schnell wie möglich auf den Großen Marktplatz zurück, aber er ist eingezwängt in die erstarrt hinabrollende Menge. Eine Frau hat ihren
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