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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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Hände schütteln, Glückwünsche empfangen, aber danach zieht es ihn unweigerlich

    in die Unterwelt hinab. Der Fahrstuhl öffnet sich und entlässt August in die Ebene U7, die unterste Parketage. Diese Garage ist nicht düster, sondern ein heller, bergender Raum. Garons nos clients! , lautet das Motto des nächsten European Parking Congress in Paris, zu dem August vorhin die Einladung erhalten hat, auf Empfehlung von Xerxes, Teilnehmer am letzten Kongress in Spanien. Die Erklärung von Madrid sei im Parkhaus des neuen LustschlösschenCenters schon antizipiert, hat Xerxes damals vorgetragen: Wir bauen Parkebenen, keine Bunker, Parken darf Spaß machen. Jede Parkebene hat ihre eigene Farbe, U5 rot, U6 gelb, U7 blau, urbaner Glanz auch unterirdisch, die schrägen Stellplätze sind flexibel aufteilbar, die Hallen frei von Stützen, die Kassenautomaten geben bei Überzahlung auch Scheine raus statt Münzenregen. Eine Frau füllt den Kofferraum ihres Kombis mit großen, reißfesten Papiertüten aus dem Biosupermarkt, ihr Kind klettert auf den Einkaufswagen und wieder herunter, wieder und wieder, neidisch sieht August dem Eifrigen zu. Nach einer Weile guckt die Mutter August an, der befürchtet, sich verdächtig gemacht zu haben, doch die Mutter lächelt ihn an, in dieser Tiefgarage haben Frauen keine Angst. August geht weiter und genießt den Frieden der blauen Halle. Da vibriert es wieder in seiner Hosentasche, auch hier unten ist der Handyempfang perfekt. Auf dem Weg zu den Lifts sucht August vergeblich seinen Schatten, das Parkhaus ist, ohne zu blenden, vollkommen ausgeleuchtet.
    Am tiefsten, noch unter den Parkebenen, liegt der Versorgungstrakt. Aus einem Tunnel kommt eine Verkäuferin mit einem Rollkarren voll Strings, ein hoher bunter Berg. Sie beeilt sich, damit der Fahrstuhl ihr nicht wegfährt; im Vorbeihasten wirft sie August einen knappen Gruß zu, der Stringberg droht zu kippen. Aus der Tiefe des Tunnels kommen schon weitere Waren, dort hinten nähert sich ein Leiterwagen mit Paletten. Hier unten geht alles seinen Gang, geschäftig und behutsam zugleich, ist auch seinen Gang gegangen, während oben Spektakel war. August spaziert nicht in den Anlieferungskorridor, sondern in einen anderen Flur. Der Weg knickt immer wieder ab, führt geradeaus, dann erneut um die Ecke. Kein Magnet oder Anker liegt am Ende jedes Weges, hier muss man wissen, wohin man will. Erst wenn man wieder ankommt, wo man schon war, erkennt man, dass die Flure windungsreich ein unsichtbares Zentrum umkreisen. August geht einfach weiter. Der Flur führt an kleinen beschrifteten Türen vorbei, Betriebsraum und Heizung 2 , es gibt Nebenkammern, dunkle Winkel, Abzweigungen; Rohre und Leitungen tauchen aus dem Beton auf und verschwinden irgendwo in der Wand. August verliert sich, er genießt die Stille, die verstärkt wird vom Sirren der Lüftungsschächte und Heizungsrohre, ein Grundgeräusch wie singende Luft. Früher hat er, wenn er hier unten rumgegangen ist, auf seinem iPod Bachkantaten oder Catalogue d’Oiseaux von Messiaen gehört, um den Raum zu verfremden; aber dieses Spiel hat seinen Reiz schnell verloren, die Mall ist ja überall beschallt, die Geräusche von Rolltreppen und Lüftungen werden überall übertönt und von Klangtapeten verdeckt. Nur hier unten ist alles nackt und kahl und sachlich, nur hier sind die Betriebsgeräusche der Mall wahrnehmbar.
    Am lautesten ist die Stille im Zentrum der Unterwelt, das August schließlich betritt: Ein unablässiges heftiges Brummen erfüllt den Raum. Was ist das eigentlich? Lüftungsanlagen, Müllpressen, die Dehydrierungsmaschine? August steht am Rand und guckt in die weite Halle. Zwischen den Betonsäulen werden Müllcontainer von Elektrofahrzeugen hin und her transportiert. Ein Verkäufer öffnet mit einer Chipkarte die Klappe eines Containers, wirft Plastiksäcke hinein und wartet auf seinen Beleg. In einer Senke stehen drei Lastwagen und einige PKWs. Dass das Entsorgungspersonal hier parkt, kann man verstehen, der scharlachrote Sportwagen allerdings gehört Xerxes: Er hat die Marotte, seinen Flitzer nicht im Parkhaus, sondern im Entsorgungszentrum abzustellen; vielleicht tankt er hier morgens Kraft, in einem Trakt, der in den kommenden Stunden sechzehn Tonnen Müll verdauen wird, Recyclingquote siebzig Prozent, anvisiert sind neunzig. August und Xerxes kommen beide gern hierher, das verbindet sie, August allerdings putscht die Halle nicht auf, ihn beruhigt sie. Er mag vor allem die

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