Wach (German Edition)
gemunkelt, doch jetzt ist das Raunen zu einem beharrlichen Rumoren angeschwollen, das Fundament des Betriebs scheint nervös zu zittern, überall ist ein unsichtbares leichtes Zucken, Pumpernickelspiralen geraten unregelmäßig, Wasserflaschen werden zu heftig geschüttelt, Teebeutel zerfetzen im Spülbecken; statt von einer größeren Expansion ist neuerdings von einer massiven Expansion die Rede, und eine allgemeine Furcht ist zu spüren, Sorge, etwas zu verpassen oder abgehängt zu werden. Und dann ist auch die Kaufsüchtige, die in krankhafter Unregelmäßigkeit durch die teuren Boutiquen rauscht, verhaftet worden; es heißt, sie habe in der ganzen Stadt auf ungedeckte Kreditkarte gekauft, schon seit Monaten, nach dem Tod ihres Mannes, will jemand wissen, sei sie der Kaufsucht verfallen. August sucht die Windeln, die er für Pit mitbringen soll. Statt babylove liest er babylon .
Als er die Asiatin im lila Anorak sieht, mit dem Schild Suche Freikarte vor der flachen Brust, sagt er: «Die Aufführung wird gut werden.» «Bestimmt», sagt Manja. August würde seine Karte gern der Asiatin schenken und kommt sich bei diesem Einfall gehässig vor, denn Manjas Freude ist deutlich zu spüren. Sie hätte fast vergessen, zu Hause anzurufen. Alles in Ordnung, hat ihre Freundin Serap gesagt, Salome und Fatma lägen gemeinsam im Bett, Pit baue hustend eine kilometerlange Gerade mit der neuen Holzeisenbahn. «Weißt du», sagt Manja zu August, «was ich in der Zeitung gelesen habe? Eine Untersuchung hat gezeigt, dass schlaflose Männer überdurchschnittlich intelligent sind, während dumme Männer gut schlafen. Bei den Frauen ist es umgekehrt, die intelligenten schlafen gut, die dummen bleiben wach. Wie findest du das?» «Dann wär ich klug und du dumm. Also unglaubwürdig. Wollen wir Sekt trinken?» «Gern. Eins ist jedenfalls sicher, Schlafmangel schadet der Intelligenz und den Abwehrkräften. Übrigens sind deine Schuhe etwas staubig, oder?»
Als sie sich ihre Plätze gesucht haben, strahlt Manja: «So nah», sagt sie, «hab ich noch nie an der Bühne gesessen. Wenn ich schon mal in die Oper geh, sitz ich im zweiten Rang ganz hinten. Da hört man die Lüftung brummen und die Scheinwerfer rattern. Und die Beleuchter unterhalten sich über Fußball.» August überlegt, wie er Manja ein Kompliment machen kann, noch nie ist sie ihm so verlockend vorgekommen wie heute. Ist die Frage, ob sie ihr leuchtend gelbes Kleid selbst genäht habe, verfänglich? Stars and Stripes klingen an, die Yankees tragen Aktentaschen und Revolver, die Bühne ist voller Kirschblüten und Paravents, Spielkonsolen und Tamagotchis. Begleitet von Freundinnen in Schulmädchenuniform, erscheint der junge Starsopran aus der Ukraine, auf ihrem weißen Kimono steht in großen blutroten Buchstaben FOR SALE . Als sie endlich, vor der falschen Umarmung, leise ansetzt, vogliatemi bene , angstvoll fragend, un bene piccolino , da beobachtet er von der Seite Manja: Er sieht sie zum ersten Mal eine Brille tragen, in ihrem Gesicht ist weder Lächeln noch Rührung, nur Aufmerksamkeit.
In der Pause gehen sie schweigend herum. Im Publikum sind viele Schwule und Touristen. August hört eine Sprache, die er nicht erkennt, er tippt auf Rumänisch. Ein Englisch sprechendes Mädchen trinkt mit ihren Eltern Sekt, ihr Hintern ist schon weiter entwickelt als der Busen; August muss an einen Entenbürzel denken. Ein älterer Schwuler sagt zu seinem Begleiter: «Nicht immer nur Wagner!», worauf beide wie Eingeweihte kichern. «Guck mal, ein Japaner trägt Mundschutz», lacht Manja. August hört nicht hin, er hat die Asiatin im lila Anorak entdeckt, die mit einer Programmverkäuferin redet, wie mit einer guten Bekannten. Natürlich, denkt August, bestimmt kennen die Opernangestellten sie und winken sie kurz vor Beginn rein, wenn niemand ihr eine Karte geschenkt hat. Dann findet er noch ein Bild, das ihm gefällt: Auf einer Bank sitzt ein altes Paar und isst mitgebrachte belegte Brote, sie kauen in schweigender Eintracht. Er bemerkt, dass auch Manja (ohne Brille, mit zusammengekniffenen Augen) das Paar anschaut; da sieht sie ihn an und lächelt kurz.
Am Beginn des zweiten Aktes, vor der großen Arie, ist Rascheln zu hören, jemand packt einen Hustenbonbon aus, von irgendwo zischt es. Dann beginnt die Ukrainerin, auf Knien, den Blick zum Horizont: un bel dì vedremo , sucht nach Rauch in der Ferne; und als sie innehält, chi sarà? chi sarà ?, hört August etwas ganz Leises, er
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