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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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Fleck, geht nur auf der Stelle – August klappt den Regenschirm zusammen. Da ist die Schule. Er klettert über den Zaun, den er höher in Erinnerung hat. Auf dem leeren Schulhof steht noch die Kastanie (ihre Blätter sind braun geworden), steinerne Tischtennisplatten, das Volleyballfeld mit dem Tartanboden, Treppenaufgänge, Türen, Fenster. Neu sind eine Cafeteria, eine große Turnhalle. Er erinnert sich an die alte Halle mit dem schadhaften Boden und, als wäre dieser Typ ihr Ureinwohner gewesen, an einen unmöglichen Sportlehrer, einen Mann, der keine Lust mehr hatte und am Anfang jeder Stunde Matten auf den Boden warf und zu den Kindern sagte: Und jetzt – kämpft! Die Eltern beschwerten sich, und im nächsten Jahr bekam die Klasse einen neuen Sportlehrer. August denkt, mit der alten Turnhalle ist sicher auch dieses Relikt ausgemerzt worden; aber bestimmt sind in neuen Lehrern neue Verkorkstheiten nachgewachsen. Fast beruhigt ihn das. Und er freut sich über die Spuren des jetzigen Lebens, Tuschbilder und Zettel an Pinnwänden, die sich durch verschlossene Glastüren erkennen lassen, ein einzelnes Fahrrad im Fahrradständer, ein Bonbonpapier im Gebüsch. Er wundert sich, dass nicht die Elternwohnung, sondern die Schule in der Mitte seiner Kindheitserinnerungen ist. Die Schulzeit erscheint ihm als natürliche Gegenwart, es kommt ihm falsch vor, dass er nicht mehr zur Schule geht und es die Klasse nicht mehr gibt; vielleicht ist ja alles ein Irrtum, und eben jetzt sehen es auch die anderen ein, in fünf, sechs Stunden werden alle wieder hier eintrudeln; er rechnet nach … Klasse 29 (waren sie a oder b?), Gesichter und Figuren tauchen auf, aber nicht von damals, sondern von den letzten Klassentreffen, die Jungen mit beginnendem Haarausfall, einige schon aus dem Leim gegangen, die Mädchen mit Vorzeichen des Verblühens, und dazwischen ein paar sehr alt gewordene Lehrer: Punkt acht werden sie das Klassenzimmer betreten und ihre Plätze einnehmen.
    Ein paar Schüler sind nie bei den Klassentreffen aufgetaucht. Diese Verschwundenen sind aber nicht die früheren Außenseiter, die haben sich oft freigestrampelt und kommen, vielleicht um sich und den anderen zu beweisen, dass nichts zurückgeblieben sei; dabei können sie aufs schlechte Gewissen der einstigen Peiniger rechnen, im Rückblick sind die ausgeuferten Gemeinheiten allen unangenehm, und so begrüßen sich die früheren Täter und die früheren Opfer zwanghaft unbefangen, in stillschweigender Übereinkunft, es sei nie etwas gewesen. Grundlos und unerklärlich abgetaucht sind andere, wie aus einer Sehnsucht, vergessen zu werden; ohne ihre Gründe zu kennen, hat August sie immer gut verstanden, diese Untergetauchten. Beim letzten Klassentreffen hatte er plötzlich das Gefühl, in diesem Raum seien alle, ausnahmslos, ganz und gar gescheitert. Dabei sind sie Finanzleute, Juristen, Mediziner geworden, auch eine Abgeordnete ist unter ihnen. Und dann fiel ihm ein, ach nein, er lässt sich ja reinlegen. Hat er denn nicht gemerkt, dass hier nur ein Maskenfest stattfindet? Gleich werden sie alle, auch August, die Masken abnehmen, und dann stehen da wieder lauter Zwölfjährige.

    Panflöten spielen Ave Maria , überschminkte Mädchen schrauben Parfümfläschchen auf. «Nur die Tester aufmachen!», ruft die Verkäuferin von der Kasse aus, immer wieder, bis sie schließlich einschreitet und die Mädchen des Ladens verweist. Erst vor ein paar Tagen ist August von einem Polizeibeamten angerufen worden, der ihm vom Projekt zur Vermeidung unentschuldigter Abwesenheit erzählt hat. Den Künstlichen Paradiesen ist die Durchsetzung der Schulpflicht natürlich Herzenssache, aber was den Einsatz von Polizeikommandos im Center angeht, hegt man Zweifel (nicht August, er weiß ja, dass die Beamten nicht in Kampfmontur loslegen werden, nur in der Zentrale halten sich abwegige Vorstellungen, kein Wunder, die Künstlichen Paradiese sitzen in einem kleinen Mittelmeerstaat, in dem jahrzehntelang Militärdiktatur geherrscht hat). Während er dem Beamten versicherte, sich für das Projekt starkzumachen, war August unkonzentriert, er dachte, eben das ist es: Sein Leben ist eine andauernde Vermeidung unentschuldigter Abwesenheit. Die Panflöten spielen Eleanor Rigby . August geht in die Babyabteilung. Die Unruhe der Angestellten schwirrt in ihm nach, der übliche Büroklatsch nimmt schon seit Wochen zu; dass die Firma eine größere Expansion in den Osten plane, wurde schon immer

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