Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
herbei und schenkt mir nach.
»Sind Sie mit Ihrem Steak zufrieden?«
»Es ist in Ordnung«, antworte ich, winke ihn weg und greife nach meinem Glas. Noch ein tüchtiger Schluck, während ich die rötliche Lache auf meinem Teller anstarre.
Ein einziger dummer Augenblick der Gewalt … und ein Leben ist ruiniert. Dabei trifft mich keine Schuld. Sie war es … sie war für das verantwortlich, was geschehen ist, nicht ich. Warum sollte ich immer noch den Preis dafür bezahlen müssen? Ich schaue aus dem Fenster auf die Lichter. Irgendwie kommen sie mir nicht mehr so strahlend hell vor wie vorhin. Angeekelt werfe ich meine Serviette auf den Tisch und leere den Rest meines Weins. Ich bitte um die Rechnung und lasse nach dem Begleichen meinen nur halb geleerten Teller mit dem inzwischen eingedickten Saft auf dem Tisch zurück.
Vorbei am Kellner und dem Maître d’Hôtel verlasse ich den Speisesaal. Vor Wut kochend drücke ich auf die Lifttaste. Wieder ein Abend durch sie verdorben. So kann das nicht weitergehen. Ich habe ein besseres Leben verdient … mir steht ein besseres Leben zu. Es muss einen Ausweg geben.
Ich muss nur den Schlüssel finden.
7
Anne saß in ihrem Auto und blickte zum Ferienhaus. Der gestrige Tag war nicht gut verlaufen. Sam hatte Müdigkeit vorgeschützt und sich den größten Teil des Tages im Schlafzimmer verkrochen. Anfangs hatte Anne sich gefragt, ob das eine Ausweichstrategie war. Es war offensichtlich gewesen, dass Sam sie nicht dahaben wollte und die Einmischung ihrer Eltern und ihres Verlobten übel nahm.
Diesen Teil hatten die beiden während des Vorstellungsgesprächs ausgelassen, dachte sie sarkastisch. Weder Sams Vater noch ihr Verlobter hatten erwähnt, dass die Kranke alles andere als begeistert von einer Therapie zu Hause war. Anne zog stirnrunzelnd die Mundwinkel nach unten. Wie Sam sie wohl heute empfangen würde? Würde Anne den ganzen Sommer darum kämpfen müssen, Sam zur Mitarbeit zu bewegen? Begriff Sam eigentlich nicht, was für ein Glück sie hatte? In ihrem Leben gab es Menschen, die sich Sorgen um sie machten und alles tun würden, um ihr zu helfen.
Angewidert schüttelte Anne den Kopf. Ihr selbst hatte nie jemand diese Art von Unterstützung gewährt. Niemand war je vorgetreten, um ihr zu helfen. Es war immer ihre Sache gewesen, allein ihre, die Lasten zu schultern, die Entscheidungen zu treffen und die Probleme zu meistern. Es war ein Wunder, dass das Gewicht all dessen sie bisher noch nicht erdrückt hatte.
Sie lehnte den Kopf gegen den Sitz und schloss einen Moment lang die Augen. Statt sich wie ein verwöhntes Balg zu verhalten, sollte Samantha Moore voller Dankbarkeit sein.
Sie richtete sich auf, öffnete die Augen und blickte, den Atem ausstoßend, zur Haustür hinüber. Was sie über Samantha Moore dachte, war unwichtig. Sie hatte ihre Arbeit zu tun. Während des Einstellungsgesprächs hatte Lawrence Moore seine Erwartungen deutlich ausgesprochen und ihr unmissverständlich klargemacht, dass ein Misserfolg nicht in Frage kam.
Ihr fiel der Stapel Rechnungen ein, der auf dem Küchentisch lag. Plötzliche Unruhe erfasste sie. Was, wenn sie scheiterte und er sie feuerte? Das Krankenhaus hatte sie vorübergehend freigestellt, sie verdiente also nichts – da würde es nicht lange dauern, bis ihre Ersparnisse dahingeschmolzen waren. Ihre Pläne für Calebs Collegestudium wären damit auch zum Teufel. All diese Jahre des Knickerns und Knauserns wären umsonst gewesen. Sie rieb eine Stelle an ihrer Brust, als wolle sie ihrem Herzen Erleichterung verschaffen. Das durfte sie nicht zulassen. Ob Samantha Moore nun ihre Hilfe wollte oder nicht, spielte keine Rolle. Sie würde alles Nötige tun, damit Lawrence Moore mit ihr zufrieden war.
Sie stieß die Wagentür auf, stieg aus und marschierte über den sandigen Vorgarten zur Vorderveranda. Auf der ersten Stufe fiel ihr plötzlich eine Pflanze ins Auge, die neben der Treppe wuchs. War die auch gestern schon dort gewesen? Anne trat näher, um sie sich anzusehen.
Stängel mit tief geäderten, grünen Blättern wuchsen erst nach oben und hingen dann in einem leichten Bogen zum Boden hinab. Anne fasste sie genauer ins Auge und sah, dass sich winzige Blütentrauben bildeten. Sie fuhr schon seit Jahren an diesem Häuschen vorbei, aber der Strauch, der hier neben der Veranda wuchs, war ihr nie aufgefallen. Der Hausbesitzer musste ihn gepflanzt haben.
»Ach, wen interessiert das schon«, murmelte sie, die Blätter
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