Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
ein.
6
Die Lichter der Großstadt breiten sich unter mir aus, und ein wunderschönes Gefühl der Freiheit regt sich tief in meinem Inneren. Ich bin entkommen, zumindest für eine kleine Weile. Die Oper, die ich heute Abend besucht habe, hat mich begeistert, und jetzt werde ich den perfekt verlaufenen Abend mit einem perfekten, kleinen Abendessen in einem der besten Restaurants von Minneapolis beschließen. Sobald man mich an meinen Platz geführt hat, werde ich den besten Wein bestellen, den sie zu bieten haben, dazu ein dickes Steak und mit Biss gegarten Spargel. Bei diesem Gedanken läuft mir das Wasser im Mund zusammen, und ein leises Lächeln spielt um meine Mundwinkel. Vom Fenster wegtretend wende ich mich dorthin, wo der Maître d’Hôtel in seinem weiß gestärkten Hemd, dem schwarzen Jackett und der makellosen Fliege auf seinem Posten steht. Er schätzt mich mit einem Blick ein, und plötzlich, ob meiner eigenen Erscheinung verunsichert, schnippe ich mir einen eingebildeten Fussel vom Ärmel.
Er greift nach einer Speisekarte und wirft mir ein gewandtes Lächeln zu. »Erwarten Sie noch jemanden?«, erkundigt er sich mit einem Anklang von Überheblichkeit in der Stimme.
Die nehme ich übel. Für wen hält er sich eigentlich? Er ist doch nur ein aufgemotzter Kellner. Wenn sie meinem Geschick nicht in die Quere gekommen wäre, würde dieser Mann jetzt nur so um mich herumscharwänzeln. Er hätte sich geehrt gefühlt, dass jemand von meinem Kaliber sein Restaurant betritt. Stattdessen schaut er mich jetzt an, als wäre ich vollkommen gewöhnlich.
Ich verberge meine Verärgerung und fasse ihn kühl ins Auge: »Nein, ich bin allein.«
Seine Schultern sacken unter meinem scharfen Blick nach unten, und er dreht sich um und winkt mich in den halbleeren Speisesaal. »Kommen Sie bitte hier entlang.«
Ich folge ihm mit zwei Schritten Abstand, und er führt mich zu einem Tisch in der Nähe der Küche. Er legt die Speisekarte auf den Tisch und zieht einen Stuhl hervor.
»Ihr Kellner kommt gleich zu Ihnen«, sagt er und will weggehen.
Mit einer leichten Berührung am Arm halte ich ihn zurück. »Dieser Tisch ist inakzeptabel«, sage ich leise und zeige auf einen leeren Tisch beim Fenster. »Ich möchte dort sitzen.«
»Wegen der späten Stunde ist der Bereich dort geschlossen«, antwortet er rasch.
»Dann öffnen Sie ihn«, entgegne ich, wende mich von ihm ab und gehe zu dem von mir ausgewählten Tisch.
Ich höre ein leises Zischen, als er hinter mir herkommt, beachte es aber nicht. An meinem Ziel angelangt, warte ich geduldig darauf, dass er mir den Stuhl hervorzieht. Das tut er, und mit einem Nicken lächele ich schmallippig und setze mich.
»Ich schicke Ihnen sofort jemanden.«
Zufrieden greife ich nach der Karte und gehe die Speisen durch. Ein kurzer Blick über den Rand zeigt mir den Maître d’Hôtel im eiligen Gespräch mit einem der Kellner. Der Mann richtet stirnrunzelnd den Blick auf mich, während der Maître d’Hôtel die Hände in einer hilflosen Geste ausbreitet. Kopf schüttelnd nimmt der Kellner einen Wasserkrug und kommt zu mir. Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder der Karte zu und gestatte mir ein triumphierendes Lächeln. Jetzt werden sie vielleicht begreifen, dass ich nicht gewöhnlich bin.
Ich wähle rasch und lehne mich dann zurück, um den Ausblick auf die Stadt zu genießen. Ich gehöre hierher … wirklich. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe zu entkommen … dieses Gefühl der Freiheit täglich zu genießen, statt mich mit ein paar gestohlenen Momenten zufriedengeben zu müssen. Plötzlich umschließt die Anspannung meine Brust wie mit einem Band. Wenn ich versuchte, mein altes Leben hinter mir zurückzulassen, ließe sich das finanziell kaum verschmerzen.
Zu welchem Preis ist die Freiheit wohl zu haben, hm?, denke ich bitter und trinke einen ordentlichen Schluck von meinen Merlot, ohne ihn richtig zu schmecken.
Mein Steak kommt, und ich versuche, die dunklen Gedanken beiseitezuschieben und diese letzten Momente zu genießen. Mit der Präzision eines Chirurgen schneide ich in das zarte Fleisch, und ein schmaler, wässriger roter Streifen sickert auf den weißen Porzellanteller. Ich spieße das Fleisch mit der Gabel auf, stecke den Happen in den Mund und kaue, aber es scheint keinen Geschmack zu haben. Ich spüle es mit Wein herunter und versuche es noch einmal. Staubtrocken.
Ich schnippe mit dem Finger nach dem Kellner und deute auf mein inzwischen leeres Weinglas. Er eilt
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