Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
fragte sie den Kopf hebend.
»Nein, nein«, antwortete Anne rasch, und ihre Finger gruben sich erneut in den Muskel.
Sams Kopf fiel auf die Liege zurück. »Wie lange dauert das noch?«
»Nicht mehr lange. Ich möchte die Muskeln lockern, bevor wir mit den Übungen anfangen.«
Sam zog die Augenbrauen hoch. » Wir? Sie machen sie mit mir zusammen?«
»Nein«, antwortete Sam lächelnd. »Das Schwitzen bleibt schon Ihnen überlassen.«
»Das hatte ich mir gedacht.« Sie legte die Hände auf den Bauch und schloss die Lider. »Ist mir egal. Wenn es nur hilft, werde ich kübelweise schwitzen.« Ihre Augen gingen plötzlich auf und bohrten sich in Annes Blick. »Das wird doch hinhauen, oder?«
Annes Finger fuhren wieder über die geschädigten Muskeln. Würde die Therapie wirken? Das hing von den Erwartungen ab. Nachdem sie gespürt hatte, wie sehr Sams Bein gelitten hatte, bezweifelte sie, dass sie je ohne zumindest ein leichtes Hinken würde gehen können. Sie erinnerte sich an die Fotos, die Lawrence Moore ihr gezeigt hatte. Das Bild von Sam, wie sie einen Skihang hinunterschoss. Damit war es vorbei. Würden Sam oder ihr Vater eine weniger als hundertprozentige Heilung akzeptieren? Sie grub die Daumen so kräftig in den Muskel, dass Sam zusammenzuckte.
»Entschuldigung. Ihr Verlobter hat mir erzählt, dass Sie Künstlerin sind«, wich sie einer Antwort auf Sams Frage aus. »Haben Sie Material da? Die Landschaft hier ist großartig, und …«
Sam schnaubte und schloss die Augen. »Ich habe schon Jahre nicht mehr gemalt.«
»Vielleicht würde es Sie ablenken. Dann könnten Sie sich noch auf etwas anderes als auf die Therapie konzentrieren und ein wenig inneren Abstand gewinnen. Vielleicht wollen Sie ja …«
»Nein«, erwiderte Sam knapp und rutschte unruhig auf dem Stuhl herum. »Ihr Job ist mein Bein, nicht mein Kopf.«
Anne nahm sich stirnrunzelnd ein Handtuch und wischte sich das Öl von den Händen. Na gut; Sam hatte recht. Sie war eine Physiotherapeutin und keine Psychologin, aber man brauchte kein Arzt zu sein, um zu sehen, dass Samantha Moore mehr Probleme hatte als nur ein krankes Bein. Nun, Anne konnte das egal sein. Ihr Job war es, Sam bei der Kräftigung ihres Beins zu helfen. Sie trat zum Fußende des Liegestuhls, zog Sams Hosenbein wieder nach unten, hob ihren Knöchel mit der einen Hand hoch und legte die andere Hand an ihr Fußgewölbe.
»Ich möchte, dass Sie mit dem Fuß gegen meine Hand drücken, die Spannung fünf Sekunden halten und dann loslassen. Wir machen es …«
Plötzlich wurde sie von Schritten unterbrochen, die um das Haus herumkamen. Sam riss den Fuß weg und setzte sich erschreckt auf. Sie und Anne drehten sich um, als ein Mann über die Veranda auf sie zugeschlendert kam.
Na toll. Fritz Thorpe. Anne hatte sich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis er aufkreuzte. Heute war er tadellos in eine weiße Leinenhose und ein marineblaues Poloshirt gekleidet. Sein silbriges Haar lugte unter seiner Kapitänsmütze hervor. Ein Stöhnen unterdrückend, blickte Anne auf Sam hinunter, um deren Reaktion auf Fritz’ plötzliches Erscheinen einzuschätzen.
Misstrauen lag in Sams Blick, als ihre Augen von Anne zu Fritz und wieder zurück schossen. Ihre Muskeln spannten sich an.
Fritz, der Sams Reaktion bemerkte, hob die Hand und trat zurück. »Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Er zeigte hinter sich und lächelte sie an. »Ich habe geklopft, aber es kam keine Reaktion. Anne kann bezeugen, dass ich vollkommen harmlos bin.«
Anne beugte sich vor und legte Sam die Hand auf den Arm. »Sam, das hier ist Fritz Thorpe«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Er wohnt auf der anderen Seite des Sees.«
»Was Anne ausgelassen hat, ist, dass mich hier einige für einen alten Wichtigtuer halten, der seine Neugier auf neue Bewohner unserer kleinen Gemeinde nie im Zaum hal ten kann«, erklärte er kichernd, zog einen Stuhl heran und setzte sich. »Ich persönlich betrachte mich als das inoffizielle Willkommenskomitee des Elk Horn Lake.«
Sam fuhr verstohlen mit den Fingern zu ihrem Haar und zupfte an den kurzen Strähnen. »Aha«, meinte sie steif. »Ich heiße Samantha Moore.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Samantha«, gab Fritz mit breitem Lächeln zurück. »Wie lange werden Sie denn bei uns bleiben?«
»Nicht lange«, antwortete Sam und schwang die Beine vom Liegestuhl. »Anne, ich bin müde.« Sie stand unbeholfen auf. »Ich geh wieder ins Bett.« Sie nickte Fritz zu,
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