Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
hier?«
»Ich weiß es nicht – sollte einmal ein Name gefallen sein, ist er mir nicht in Erinnerung geblieben.« Anne schüttelte den Kopf. »In meinem eigenen Leben ist mehr als genug los, da brauche ich nicht auch noch über das Leben anderer Leute nachzudenken und mich zu fragen, was in ihrer Vergangenheit vorgefallen ist.«
»Ist das der Grund, weshalb Sie mir nicht erzählt haben, dass mein Ferienhaus durchaus berüchtigt ist?«
Anne winkte ab. »Nichts als ein Haufen alter Gerüchte.«
»Sind Sie denn nicht neugierig?«
»Nein. Sie vielleicht?«
Sam blieb stehen und dachte über die Frage nach. Doch, das war sie, wie sie überrascht feststellte. So lange hatte ihr Gefühlsrepertoire nur aus Apathie, Angst, Wut, Selbstmitleid und Panik bestanden – etwas anderes hatte es nicht gegeben.
»Doch, das bin ich. Ich wüsste gerne, ob diese Blanche wirklich so schlimm war, wie Fritz es darstellt.«
Anne warf ihr einen strengen Blick zu. »Fritz hat Ihnen von Irene Brighton erzählt, Ihnen gesagt, wie sie reagiert, wenn jemand Blanche erwähnt. Sie müssen wissen, dass sie nicht die Einzige ist. Die Leute hier werden immer noch blass, wenn sie Blanches Namen hören. Ich würde hier nicht herumgehen …«
Ihr Handy klingelte. Sie holte es aus der Tasche und klappte es auf. »Ja, Caleb.« Sie lauschte auf seine Antwort. »Jetzt sofort?« Sie verstummte, und ihre Lippen verzogen sich nach unten. »Kannst du nicht bleiben?«
Nachdem sie Calebs Antwort gehört hatte, klappte sie das Handy wieder zu. »Verdammt. Der Handwerker ist gekommen, um meine Waschmaschine zu reparieren. Ich warte schon seit zwei Wochen auf ihn, und ausgerechnet heute Vormittag muss er bei mir aufkreuzen.« Sie blickte zu Sams Haus zurück und dann wieder nach vorn. »Ich wohne nur ein kurzes Stück diesen Weg entlang«, sagte sie und zeigte auf einen Pfad, der nach links abführte. »Ich brauche nur ein paar Minuten, um ihm zu erklären, was mit der Waschmaschine nicht stimmt.« Sie zeigte auf einen Baumstamm, der links vom Weg lag, ergriff Sam am Arm und führte sie dorthin. »Warten Sie doch kurz hier, ich bin gleich wieder zurück.«
Sam riss ihren Arm los. »Nein. Sie wissen, wie schwer es für mich ist, draußen zu sein. Lassen Sie uns zum Haus zurückgehen.«
Anne schob die Hände in die Hosentaschen. »Caleb muss zu seinem Sommerjob, und ich habe keine Zeit, um Sie zum Haus zurückzubegleiten. Wenn ich jetzt nicht gleich zu mir nach Hause laufe, geht der Handwerker wieder, und dann stehe ich noch einmal zwei Wochen mit kaputter Waschmaschine da. Wissen Sie, was es bedeutet, einen Sohn im Teenageralter zu haben und keine Waschmaschine?«
Der Gedanke, dass Anne sie im Stich lassen würde, entsetzte Sam. Sie würde allein im Freien sein. »Ich gehe selbst zurück.«
»Nein, nicht nach Ihrem Sturz vor ein paar Tagen. Kommen Sie schon«, meinte Anne, zog wieder an Sams Arm und führte sie zu dem Baumstamm. »Ich bin gleich wieder da.«
Sam begriff, dass Widerspruch zwecklos war, stieß einen langen Seufzer aus und setzte sich auf den Baumstamm. Sie würde warten, bis Anne außer Sicht war, und dann zum Haus zurückgehen. Zufrieden damit, dass ihre Schutzbefohlene nun saß, machte Anne auf dem Absatz kehrt und rannte den Pfad entlang davon.
Sam beobachtete neidisch, wie Annes lange Beine die Strecke fraßen. Würde sie selbst je imstande sein, sich noch einmal so zu bewegen?
Sie hatte begonnen, auf zehn zu zählen, als ein Geräusch im Unterholz sie aufschreckte. Sie blickte zur nächststehenden Kiefer und stieß zittrig den Atem aus, als sie ein Eichhörnchen den Stamm hinaufhuschen sah. Es entschwand ihrem Blick, und rundum senkte sich Stille nieder. Sie blickte sich um, während ihre nackten Arme sich mit einer Gänsehaut überzogen, als spürte sie, dass jemand sie beobachtete.
Erschreckt beschloss Sam, dass sie lange genug gewartet hatte. Sie stand auf und tat einen unsicheren Schritt in Richtung ihres Ferienhauses.
Plötzlich durchbrach das Schmerzgeheul eines Tiers die Stille.
Sie drehte sich um und eilte so schnell sie konnte auf das Geheul zu. Als sie um die Kurve bog, sah sie zwei halbwüchsige Jungen – einen Blonden und einen Rotschopf – bei Greg Clemons’ Zaun stehen. Sie schauten lachend auf etwas, das sich auf der anderen Seite des Zauns befand. Sam reckte den Hals und spähte an ihnen vorbei, sah aber nichts.
Der rothaarige Junge versetzte dem Blonden einen Knuff mit der Schulter und warf spielerisch einen
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