Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
räudigen Hund.«
»Roxy braucht mich.«
»Ich brauche dich auch«, hielt er dagegen. »Mit dir zusammen kann ich die Art von Familie gründen, die ich immer haben wollte.« Statt der Wut stand nun ein anklagender Ausdruck in seinem Gesicht. »Meine Kindheit …«
Nein, sie würde sich jetzt nicht von Geschichten über seine Eltern ablenken lassen.
»Darüber können wir später reden«, unterbrach sie ihn. »Wenn du mich beschützen willst, prima, komm mit und hilf mir Roxy suchen.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Dieser Hund war immer nur ein Störenfried. Wir sind besser ohne ihn dran.«
Sam trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, während plötzlich ein übler Verdacht in ihr aufstieg. Vor lauter Angst um Roxy hatte sie vergessen, was sie am Abend noch getan hatte, bevor sie sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen hatte.
»Moment mal. Ich habe die Tür abgeschlossen, bevor ich ins Bett gegangen bin. Möchtest du mir erklären, wie es kommt, dass sie unverschlossen war?«
Er wurde richtig rot und wandte sich von ihr ab. Zielstrebig ging er zum Küchenschrank, machte eine Flasche Scotch auf, nahm sich ein Glas und schenkte sich einen Drink ein. »Samantha … wirklich. Du klingst genau wie meine Mutt…«
»Ich verlange eine Erklärung, Jackson«, forderte sie.
Er leerte sein Glas und sah sie dann an. »Vielleicht glaubst du einfach nur, dass du sie abgeschlossen hast? Du weißt, dass dein Gedächtnis dir manchmal einen Streich spielt.«
»Diesmal kommst du nicht damit durch, Jackson. Du wirst mich nicht wieder damit manipulieren, dass du deine kaputte Kindheit aufs Tapet bringst, und du wirst mich nicht überzeugen, dass ich die Tür nicht abgeschlossen habe.« Sie brach ab und spürte die Traurigkeit in ihrem Herzen, als der Funke, der sich am Tag zwischen ihnen geregt hatte, nun endgültig erlosch.
Sie ertrug seinen Anblick nicht und blickte zu Boden. »Du hast die Tür aufgeschlossen und versucht, meine Hündin loszuwerden«, sagte sie mit müder Stimme.
»Das habe ich nicht«, entgegnete er empört. »Wenn ich sie hätte loswerden …«
Sie unterbrach ihn mit erhobener Hand. »Mir reicht’s.« Sie zog den Ring von ihrer linken Hand, schaute auf und hielt ihn ihm hin. »Wenn ich zurückkomme, bist du hier weg.«
Er erwiderte nichts und starrte einfach nur den Ring in ihrer ausgestreckten Hand an.
Mit einem wütenden Blick warf Sam ihn auf den Küchentresen und schlüpfte an Jackson vorbei. Sie entriegelte die Tür, machte sie auf und trat in das Unwetter hinaus.
22
Ich stehe am Fenster und beobachte den Regen, der an der Scheibe herunterströmt. Ich fahre bei jedem Donnerschlag zusammen, umarme mich selbst und wende mich ab, aber die Gewalt des Unwetters draußen lässt mich nicht los. Ich halte mir die Ohren zu, aber das dämpft den Lärm des Gewitters nur. Ich würde gerne weglaufen und mich unter dem Bett verstecken wie früher als Kind. Aber ich bin kein Kind mehr – ich bin ein Mann. Meine Hände sinken herunter, und meine Lippen verziehen sich zu einem bitteren Lächeln.
»Nimm es wie ein Mann!« Ist es nicht das, was man mir immer gesagt hat? Kindische Tränen werden nicht geduldet. Und wenn ich scheitere? Wenn ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle habe – dann folgt die Strafe. Isolation. Dunkelheit. Kälte und Feuchtigkeit dringen auf mich ein, der ich mich zu einer Kugel zusammengerollt habe und um Errettung bete.
Aber es gibt keine Rettung. Keiner hört meine Hilferufe.
Ich habe meinen Rücken dem Fenster zugekehrt und lasse den Blick durch den Raum wandern. Jeder hält uns für eine großartige, tüchtige Familie, aber niemand kennt die Geheimnisse hinter der Fassade. Die unter der Oberfläche verborgene Gewalt – furchteinflößender als jedes Unwetter, das die Natur zustande bringt.
Ich war erst sechs, als es zum ersten Mal geschehen ist. Ich schüttele den Kopf, kann mich aber nicht einmal mehr erinnern, was den Vorfall ausgelöst hat. Ein zerbrochenes Spielzeug? Ein Wutanfall, weil ich keinen weiteren Keks bekam? »Hör auf, hör auf«, schrie er in mein tränenüberströmtes Gesicht. »Echte Männer weinen nicht« , schimpfte er.
Und sie? Sie stand dabei und sah zu, wie er meinen dünnen Arm ergriff und mit mir zur Tür hinausmarschierte. Er zerrte mich zu dem schwarzen, klaffenden Spalt in der Bergflanke. In meiner Unschuld hatte ich keine Ahnung, was folgen würde. Ich hatte schon gesehen, wie er seinen Zorn gegen meine Mutter
Weitere Kostenlose Bücher