Wachen! Wachen!
Leben, in der Wache. Oh, sicher, ab und zu lernte man interessante Personen kennen, aber meistens ließen die Umstände zu wünschen übrig. Bestimmt gab es Hunderte von anderen Dingen, mit denen er sich beschäftigen konnte, und wenn er lange genug nachdachte, erinnerte er sich bestimmt daran.
Die Pseudopolis-Allee erstreckte sich abseits der Prozessionsroute, und als Mumm das Wachhaus betrat, hörte er den fernen Jubel jenseits der Dächer. Überall in der Stadt erklangen die Tempelgongs.
Jetzt schlagen sie die Gongs,
dachte Mumm,
aber bald werden sie die, die, die Gongs
nicht
mehr schlagen.
Als Aphorismus gab diese Wortfolge nicht viel her, aber er konnte daran arbeiten. Er hatte jetzt Zeit genug.
Mumm bemerkte sofort das große Durcheinander im Zimmer.
Errols Appetit war zurückgekehrt. Der Sumpfdrache hatte nicht nur den größten Teil des Tisches verschlungen, sondern auch den Feuerrost, einen Kohleneimer, mehrere Lampen und das quiekende Gumminilpferd. Jetzt lag er wieder in seiner Kiste. Die Schuppenhaut zuckte, und manchmal wimmerte er im Schlaf.
»Du hast hier ein ziemliches Chaos angerichtet«, sagte Mumm gleichgültig. Wenigstens brauchte
er
nicht aufzuräumen.
Er griff in eine bestimmte Schublade des Schreibtischs.
Jemand hatte auch das gegessen. Nur einige Glassplitter waren übriggeblieben.
F eldwebel Colon zog sich an der Brüstung des Tempels der Geringen Götter hoch. Er war zu alt für so etwas. Viel lieber hätte er die Straßen gesäumt und Glöckchen geläutet, anstatt an einem hohen Ort zu hocken und darauf zu warten, daß ihn der Drache fand.
Er schöpfte Atem und blickte durch den Nebel.
»Sind irgendwelche Menschen hier oben?« flüsterte er zaghaft.
In der feuchten stillen Luft klang Karottes Stimme seltsam monoton.
»Ich bin hier, Feldwebel«, antwortete er.
»Ich wollte nur sicher sein, daß du noch da bist«, erklärte Colon.
»Ich bin noch hier, Feldwebel«, bestätigte Karotte gehorsam.
Colon trat auf ihn zu.
»Wollte mich nur vergewissern, daß du nicht verschlungen bist«, sagte er und rang sich ein schiefes Lächeln ab. »Oder verbrannt.«
»Bin nie verschlungen oder verbrannt gewesen«, erwiderte Karotte.
»Oh, gut.« Colon trommelte mit den Fingern aufs nasse Mauerwerk und fühlte sich dazu verpflichtet, seinen Standpunkt zu verdeutlichen.
»Ich wollte nur jeden Zweifel ausschließen«, betonte er. »Solche Überprüfungen gehören zu meiner Pflicht, weißt du. Ermitteln und aufspüren. Es ist keineswegs so, daß ich mich hier oben auf den Dächern fürchte oder so. Ziemlich dichter Nebel, stimmt’s?«
»Ja, Feldwebel.«
»Alles in Ordnung?« Nobbys dumpfe Stimme kroch durch die grauen Schlieren, und kurz darauf folgte ihr Besitzer.
»Ja, Korporal«, sagte Karotte.
»Was tust du hier?« fragte Colon.
»Ich bin nur gekommen, um festzustellen, ob mit dem Obergefreiten Karotte alles in Ordnung ist«, entgegnete Nobby unschuldig. »Was führt
dich
hierher, Feldwebel?«
»Wir sind alle in Ordnung«, sagte Karotte und strahlte. »Das ist gut, nicht wahr?«
Die beiden anderen Wächter wandten sich voller Unbehagen ab und vermieden es, sich anzusehen. Nebelgefüllte Luft trennte sie von ihren praktisch unerreichbar fernen Posten, und hinzu kamen Dächer, die keinen
Schutz
gewährten.
Colon traf eine Entscheidung.
»Zum Deibel«, sagte er leidenschaftslos und nahm auf den Resten einer steinernen Figur Platz. Nobby lehnte sich an die Brüstung und zog einen feuchten Stummel aus dem sonderbaren Aschenbecher hinter dem Ohr.
»Habe gehört, wie die Prozession vorbeigekommen ist«, murmelte er. Colon füllte seine Pfeife und entzündete ein Streichholz an der Mauer.
»Wenn der Drache noch lebt«, brummte er, atmete eine Rauchwolke aus und verwandelte einen Teil des Nebels in Smog, »so ist er bestimmt von hier verschwunden. Wißt ihr, Städte bieten Drachen keinen richtigen Lebensraum«, sagte er im Tonfall eines Mannes, der verzweifelt versucht, sich selbst zu überzeugen. »Bestimmt hat er einen Ort aufgesucht, der ihm hohe Plätze und viel Futter bietet, da könnt ihr ganz sicher sein.«
»Eine Art Stadt, meinst du?« fragte Karotte.
»Halt die Klappe!« erwiderten die beiden anderen Wächter synchron.
»Wirf mir mal die Streichhölzer rüber, Feldwebel!« ließ sich Nobby vernehmen.
Colon kam der Aufforderung nach, und einige Sekunden später hielt Nobby ein Bündel aus dicken Holzstäbchen mit schwefelgelben Köpfen in der Hand. Er zog eins hervor und
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