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Wachen! Wachen!

Wachen! Wachen!

Titel: Wachen! Wachen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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entzündete es, doch ein kurzer Windstoß blies die Flamme aus. Graue Fetzen glitten vorbei.
    »Wind kommt auf«, bemerkte der Korporal.
    »Gut«, erwiderte Colon. »Kann diesen Nebel nicht ausstehen. Äh, wo bin ich stehengeblieben?«
    »Du hast gesagt, der Drache sei meilenweit entfernt«, erklärte Nobby.
    »Oh. Ja. Genau. Nun, ist doch logisch, oder? Ich meine,
ich
bliebe nicht hier, wenn ich fliegen könnte. Wenn ich fliegen könnte, würde ich nicht auf irgendeinem Dach hocken, auf den Resten solch einer blöden Statue.«
    »Welche Statue?« fragte Nobby. Die Hand mit dem Zigarettenstummel verharrte auf halbem Wege zum Mund.
    »Diese hier«, sagte Nobby und klopfte an den Stein.
    »Versuch jetzt bloß nicht, mir ‘n Schrecken einzujagen, Nobby. Auf dem Tempel der Geringen Götter gibt es Dutzende von kleinen alten Statuen, das weißt du doch.«
    »Nein, das weiß ich nicht«, widersprach der Korporal. »Ich weiß nur eins: Man holte sie im letzten Monat runter, als das Dach ausgebessert wurde. Hier gibt’s nur das Dach und die Kuppel, weiter nichts. Man muß auf solche Einzelheiten achten, wenn man ermittelt und aufspürt«, fügte er hinzu.
    Feuchte Stille folgte, und Feldwebel Colon richtete seinen Blick zögernd auf den Stein unter ihm. Das Etwas verjüngte sich, trug Schuppen und hatte gewisse Ähnlichkeiten mit einem Schwanz. Langsam drehte er den Kopf und starrte in die andere Richtung, beobachtete, wie die schuppigen Umrisse durch den sich rasch lichtenden Nebel aufragten.
    Der Drache saß auf der Kuppel des Tempels, reckte sich, gähnte und entfaltete die Schwingen.
    Das Entfalten war nicht einfach. Der Vorgang dauerte eine Weile, während die komplizierte biologische Maschinerie aus Rippen und Falten in Bewegung geriet. Mit ausgebreiteten Flügeln gähnte der Drache noch einmal, schob sich zum Dachrand und sprang in die Luft.
    Nach einer Weile kam hinter der Brüstung eine Hand zum Vorschein. Sie tastete unsicher umher, bis sie festen Halt fand.
    Jemand brummte. Karotte kletterte aufs Dach zurück und zog die beiden anderen Wächter mit sich. Sie blieben flach auf den Bleiplatten liegen, und Karotte beobachtete tiefe Furchen im Metall – offenbar stammten sie von den Klauen des Drachen. Solche Dinge fielen einem sofort auf.
    »Sollten wir nicht…« Er schnaufte und holte tief Luft. »Sollten wir nicht die Leute warnen?«
    Colon kroch nach vorn und sah über die Stadt.
    »Ich glaube, diese Mühe können wir uns sparen«, sagte er. »Ich schätze, den Leuten wird bald klar, daß der Drache nicht tot oder verschwunden ist.«

    D er Hohepriester des Blinden Io stolperte über seine eigenen Worte. Soweit er wußte, fand nun zum erstenmal eine offizielle Krönung in Ankh-Morpork statt. Die alten Könige hatten sich in diesem Zusammenhang mit schlichten Bemerkungen und Hinweisen begnügt, zum Beispiel: »Wir habet die Krone, kannet überhaupt kein Zweifel daran bestehen, und beim Klabautermann und den Sieben Teufeln: Wir werden jeden verdammten Hurensohn vierteilen lassen, der sie klauen will.« Derartige Kronreden zeichneten sich nicht nur durch ausgesprochene Klarheit aus, sondern besaßen auch den Vorteil der Kürze. Der Hohepriester hatte viel Zeit damit verbracht, eine längere Ansprache vorzubereiten, die den modernen Zeiten gerecht wurde, und nun fiel es ihm schwer, sich daran zu erinnern.
    Außerdem wurde er von dem Ziegenbock abgelenkt, der ihn mit ergebenem Interesse beobachtete.
    »
Be
eil
dich!« zischte Wonse, der hinter dem Thron stand.
    »Immer mit der Ruhe«, zischte der Hohepriester zurück. »Falls du es noch nicht wissen solltest: Dies ist eine Krönung. Ich schlage vor, du zeigst ein wenig Respekt.«
    »Ich könnte gar nicht respektvoller sein! Trotzdem wäre ich dir sehr dankbar, wenn du…«
    Rechts im Publikum ertönte eine laute Stimme. Wonse starrte in die Menge.
    »Das ist die Käsedick-Frau«, stellte er fest. »Was tut sie da?«
    Die Leute in ihrer Nähe sprachen aufgeregt miteinander, und Finger deuteten nach oben, bildeten einen kleinen stoppelförmigen Wald. Der eine oder andere Schrei erklang, und dann bewegten sich die Zuschauer wie eine Flutwelle.
    Wonse blickte über die breite Straße der Geringen Götter.
    Dort flog kein Rabe. Nein, diesmal nicht.

    D er Drache glitt dicht über dem Boden dahin, und die breiten Schwingen ruderten anmutig durch die Luft.
    Die Fähnchen und Wimpel am Straßenrand zerrissen wie dünne Spinnweben, sammelten sich an den Rückenschuppen des

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