Wachen! Wachen!
Ungetüms und bildeten einen langen Schweif hinter dem Schwanz.
Das gewaltige Geschöpf flog mit gestrecktem Hals, und der Kopf wirkte wie die Gallionsfigur am Bug eines Schiffes. Die Bürger auf der Straße schrien und kletterten übereinander, um die vermeintliche Sicherheit der Hauseingänge zu erreichen. Der Drache schenkte ihnen überhaupt keine Beachtung.
Er hätte mit lautem Gebrüll kommen sollen, doch die einzigen Geräusche rührten vom ledrigen Knarren der Schwingen und dem Knacken der Fahnenstangen her.
Er
hätte
mit lautem Gebrüll kommen sollen. Nicht auf diese langsame und stille Weise, die dem Entsetzen Zeit genug gab, alle Illusionen zu verdrängen. Er verhieß etwas, anstatt zu drohen, und das schien nicht richtig zu sein.
Er hätte mit lautem Gebrüll kommen sollen. Statt dessen kam er mit dem bunten Flattern zerrissener Fahnen.
M umm zog die oberste Schublade des Schreibtischs auf und betrachtete die Papiere darin. Es waren nicht besonders viele, und eigentlich betrafen sie ihn kaum. Mit einer Ausnahme: Die fransigen Reste eines Zuckertütchens erinnerten ihn daran, daß er der Teekasse sechs Pence schuldete.
Seltsam. Er spürte überhaupt keinen Zorn. Noch nicht. Bestimmt war es nur eine Frage der Zeit, bis er ärgerlich wurde.
Heute abend bin ich bestimmt wütend,
dachte er.
Wütend und betrunken.
Aber bis dahin dauerte es noch etwas. Erst mußte er die Bedeutung der jüngsten Ereignisse verarbeiten. Er gab sich nur deshalb der üblichen Routine hin, weil sie ihn vor dem Nachdenken bewahrte.
Errol bewegte sich in der Kiste, hob den Kopf und winselte.
»Was ist los mit dir, Junge?« fragte Mumm und streckte die Hand aus. »Hast du dir den Magen verdorben?«
Die Haut des kleinen Drachen zuckte so sehr, als arbeiteten darunter mehrere Fabriken der Schwerindustrie. Ein
solcher
Fall fand im Buch über Drachenkrankheiten keine Erwähnung. In dem angeschwollenen Bauch ertönten Geräusche, wie man sie vom Krieg in einem Erdbebengebiet vermutete.
Irgend etwas stimmte nicht, das stand fest. Sybil Käsedick betonte immer wieder, daß man sehr auf die Diät eines Sumpfdrachen achten mußte, weil jede noch so geringe Magenverstimmung Wände und Decke mit mitleiderweckenden Schuppenhautfetzen schmücken konnte. Doch während der vergangenen Tage… Abgesehen von kalten Pizzas und Nobbys schrecklichen Zigarettenstummeln hatte Errol jene Dinge gefressen, die ihm schmackhaft erschienen. Und nach dem gegenwärtigen Zustand des Zimmers zu urteilen, hielt er praktisch alles für lecker. Auch den Inhalt der untersten Schublade.
»Wir haben uns nicht besonders gut um dich gekümmert, wie?« fragte Mumm. »Eigentlich bist du wie ein Hund behandelt worden.« Er überlegte, welche Auswirkungen quiekende Gumminilpferde auf die Verdauung von Sumpfdrachen hatten.
Nach einer Weile hörte Mumm, daß der ferne Jubel Schreien wich.
Gedankenverloren blickte er auf Errol hinab, und ein außergewöhnlich grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen, als er aufstand.
Die fernen Geräusche veränderten sich erneut, kündeten nun von Panik und hastiger Flucht.
Mumm setzte den verbeulten Helm auf und neigte ihn fröhlich zur Seite. Dann summte er munter vor sich hin und schlenderte nach draußen.
Eine Zeitlang blieb Errol völlig reglos liegen. Schließlich bewegte er sich ganz vorsichtig, kroch und rollte aus der Kiste. Der wichtigste Teil des Gehirns – jener Bereich, der das Verdauungssystem kontrollierte – übermittelte seltsame Botschaften und verlangte völlig unvertraute Dinge. Glücklicherweise war er imstande, den komplexen Rezeptoren in der Nase eine detaillierte Beschreibung zu geben. Die Nüstern blähten sich und unterzogen die Luft im Zimmer einer genauen Analyse. Errol drehte den Kopf von einer Seite zur anderen und nahm eine Peilung vor.
Er kroch über den Boden, erreichte das Ziel und begann mit offensichtlichem Genuß eine ganz bestimmte Dose zu verspeisen. Sie enthielt diverse Substanzen, mit denen Karotte seinen Brustharnisch polierte.
E rschrockene Bürger der Stadt eilten an Mumm vorbei, als er durch die Straße der Geringen Götter wanderte. Rauch wehte vom Platz der Gebrochenen Monde.
Dort hockte der Drache auf den Überresten des Krönungspodiums. Er schien sehr zufrieden mit sich zu sein.
Es fehlte jede Spur vom Thron und seinem Inhaber – obgleich es möglich war, daß eine gründliche gerichtsmedizinische Untersuchung des kleinen Aschehaufens im schwelenden Holz gewisse Hinweise
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