Wachen! Wachen!
normale Fortbewegungsmethode bestand in einer Art Schleichen, und die Kombination aus Wanken und Schleichen ergaben eine seltsame Wirkung. Man stelle sich in diesem Zusammenhang eine hinkende Krabbe vor.
»Aber, aber«, sagte Karotte, »in dem Buch heißt es…«
»Ich will nichts mehr von dem Buch hören!« knurrte Nobby.
Karotte schien völlig geknickt zu sein.
»Aber es ist das Gesetz…«, begann er.
Er wurde fast für immer unterbrochen, und zwar von einer Axt. Sie flog durch eine niedrige Tür hinter ihm und prallte an der Mauer weiter vorn ab. Untermalt wurde dieser Vorgang von einigen charakteristischen Geräuschen: Es klang nach zerbrechenden Holzgegenständen und splitterndem Glas.
»He, Nobby!« brachte Karotte mit diensteifrigem Ernst hervor. »Dort drin findet ein Kampf statt!«
Nobby blickte zur Tür. »Oh,
natürlich«,
sagte er. »Es ist eine Zwergenkneipe. Die schlimmste aller Spelunken. Halt dich von ihr fern, Junge! Die kleinen Mistkerle würden sich einen Spaß daraus machen, dir ein Bein zu stellen und dich zu Brei zu treten. Bleib bei dem guten alten Nobby, dann wird dir nichts geschehen…«
Erneut schloß er die Hand um Karottes Arm. Das heißt, er versuchte es jedenfalls – der Arm war so dick wie ein Baumstamm.
Der Junge erblaßte.
»Zwerge?« wiederholte er. »Sie
trinken?
Und
kämpfen?«
»So isses«, bestätigte Nobby. »Die ganze Zeit über. Und sie benutzen dabei eine Ausdrucksweise, die ich nicht einmal meiner lieben Mutter gegenüber verwenden würde. Mit solchen Burschen sollte man sich nicht kloppen, sie sind hinterhältig und kennen zu viele Tricks –
geh da nicht rein!«
N iemand weiß, warum Zwerge, die zu Hause in den Bergen ein ganz ruhiges und ordentliches Leben führen, in einer großen Stadt ihre natürliche Zurückhaltung aufgeben. Der Verwandlungsprozeß erfaßt selbst den untadeligsten Grubenschürfer und veranlaßt ihn dazu, ein Kettenhemd zu tragen, nach einer Axt zu greifen, sich Schnappkehle Schienbeintreter oder so ähnlich zu nennen und bis zur Bewußtlosigkeit zu trinken.
Vielleicht liegt es gerade daran, daß die Zwerge zu Hause ein so ruhiges und ordentliches Leben führen. Wenn ein junger Zwerg siebzig Jahre lang für seinen Vater in irgendeinem finsteren Bergwerk gearbeitet hat und endlich Gelegenheit bekommt, eine große Stadt zu besuchen, so kann man durchaus verstehen, daß er sich einen hinter die Binde gießen und jemanden schlagen möchte.
Es handelte sich um einen typischen und in aller Fröhlichkeit stattfindenden Zwergenkampf. Mit anderen Worten: Es gab etwa hundert Teilnehmer und hundertfünfzig verschiedene Bündnisse. Die Schreie, Flüche und das metallene Scheppern von Äxten auf Helmen vermischten sich mit dem Grölen von einigen Betrunkenen, die am Kamin saßen und – eine weitere Zwergentraditionen – über Gold sangen.
Jemand stieß an Karottes Rücken, als er einen fassungslosen Blick durch die Taverne schweifen ließ.
»So geht es hier jeden Abend zu«, sagte Nobby. »Mischt euch nicht ein, meint der Feldwebel. Es ist ihre ethnische traditionelle Lebensweise oder so. Ethnische traditionelle Lebensweisen muß man respektieren.«
»Aber, aber«, stotterte Karotte, »sie sind mein Volk. In gewisser Weise. Welche Schande, sich so zu benehmen! Welchen Eindruck erwecken sie dadurch bei anderen Leuten?«
»Einen ziemlich schlechten«, erwiderte Nobby. »Wir halten sie für gemeine kleine Mistkerle.
Komm
jetzt!«
Karotte achtete gar nicht auf ihn und trat mitten in das wogende Durcheinander. Er hob die Hände, formte daraus einen Trichter vor dem Mund und brüllte etwas in einer Sprache, die Nobby nicht verstand. Bei ihm galt diese Beschreibung für praktisch jeder Sprache, auch für jene, die er von seiner lieben Mutter gelernt hatte. Er hörte jetzt klares, deutliches Zwergisch.
»Gr’duzk! Gr’duzk! aaK’zt ezem ke bur’k tze tzim?«
8
Von einem Augenblick zum anderen herrschte Stille. Hundert bärtige Gesichter sahen zu der gebückten Gestalt Karottes auf, und ihre Verärgerung wich sprachloser Verblüffung.
Ein zerbeulter Humpen prallte an der Brustplatte des Jungen ab. Karotte packte eine zappelnde Gestalt und hob sie mühelos hoch.
»J’uk, ydtruz-t’rud-eztuza, hudr’zd dezek drez’huk, hu-zukkruk’t b’tduz g’ke’k me’ek b’tduzt t’be’tk kce’drutk ke’hkt’d. aaDb’thuk?«
9
Kein Zwerg hatte jemals so viele Worte der Alten Sprache aus dem Mund von jemandem gehört, der mehr als ein Meter
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