Wachen! Wachen!
zwanzig groß war. Ihr Erstaunen kannte keine Grenzen.
»Ihr seid Zwerge!« fügte Karotte hinzu. »Zwerge sollten vernünftiger sein. Seht euch nur an! Schämt ihr euch denn gar nicht?«
Hundert granitharte Kinnladen klappten nach unten.
»Ich meine,
seht
euch doch nur an!« Karotte schüttelte den Kopf. »Stellt euch eure armen weißbärtigen Mütter vor, die in ihren kleinen Höhlen schuften und sich fragen, wie es den Söhnen geht. Sie wären sicher sehr enttäuscht, wenn sie euch hier sehen könnten. Eure eigenen Mütter, von denen ihr gelernt habt, wie man mit einer Spitzhacke umgeht…«
Nobby stand ebenso entsetzt wie verdutzt neben der Tür. Er hörte ein langsam lauter werdendes Schniefen und Schluchzen, als Karotte fortfuhr: »Wahrscheinlich denkt sie gerade: Bestimmt verbringt mein Sohn den Abend damit, Domino zu spielen…«
Ein Zwerg – er trug einen Helm mit fünfzehn Zentimeter langen Spitzen – vergoß Tränen in sein Bier.
»Und ich wette, es ist
lange
her, seit ihr euren Müttern den letzten Brief geschickt habt. Obwohl ihr jede Woche schreiben wolltet…«
Nobby holte geistesabwesend ein fleckiges Taschentuch hervor und reichte es einem Zwerg, der an der Wand lehnte und vor Kummer zitterte.
»Nun gut«, sagte Karotte etwas sanfter. »Ich möchte nicht zu streng mit euch sein. Aber von jetzt an komme ich jeden Abend vorbei und erwarte, daß ihr euch wie richtige Zwerge betragt. Ich weiß, wie es ist, fern von der Heimat zu sein, aber für ein solches Verhalten gibt es keine Rechtfertigung.« Er hob die Hand zum Helm.
»G’hruk, t’uk.«
10
Er zeigte ein strahlendes Lächeln und bückte sich noch etwas tiefer, als er durch die Tür ging. Draußen klopfte ihm Nobby auf den Arm.
»Bring mich nie wieder in eine derartige Lage!« stieß er hervor. »Du gehörst zur Stadtwache! Ich will nichts mehr von Gesetzen und so hören!«
»Aber sie sind sehr wichtig«, erwiderte Karotte ernst und folgte Nobby, als der Korporal durch eine schmalere Seitenstraße schlich.
»Nicht so wichtig wie das eigene Überleben«, stellte Nobby fest. »Zwergenkneipen! Wenn du auch nur einen Funken Verstand hast, beschränkst du dich auf Lokalitäten wie diese hier. Komm, wir gehen rein! Und halt die Klappe!«
Karotte sah an dem Gebäude hoch, das sie gerade erreicht hatten. Es stand ein wenig abseits des üblichen Straßenschlamms, und in seinem Innern erklangen Geräusche, die auf entschlossenes und leidenschaftliches Trinken hindeuteten. Ein schmutziges Schild hing über der Tür und zeigte eine Trommel.
»Eine Taverne, nicht wahr?« vermutete Karotte nachdenklich. »Um diese Zeit geöffnet?«
»Warum denn auch nicht?« erwiderte Nobby und drückte die Tür auf. »Ist doch wirklich sehr rücksichtsvoll vom Wirt. Du lernst jetzt die
Geflickte Trommel
kennen.«
»Wird hier auch Bier und so ausgeschenkt?« Karotte blätterte hastig im Buch.
»Das will ich doch stark hoffen«, sagte Nobby. Er nickte dem Troll zu, der als Zerreißer 11 in der Trommel arbeitete. »N’Abend, Detritus. Ich bringe unserem Neuen die Kniffe bei.«
Der Troll grollte leise und winkte mit einem verkrusteten Arm.
Die
Geflickte Trommel
ist bereits legendär und als berühmteste, anrüchigste Taverne auf der ganzen Scheibenwelt bekannt. Sie gilt als eins der charakteristischen Merkmale von Ankh-Morpork, und der Wirt legt großen Wert darauf, den Ruf seines Etablissements zu wahren. Nach den letzten unvermeidlichen Renovierungsarbeiten gab er sich erhebliche Mühe, an den Wänden die ursprüngliche Patina aus Dreck, Ruß und einigen nur schwer zu identifizierenden Substanzen wiederherzustellen. Für den Boden importierte er sogar eine Tonne aus gut vorgefaulter Binse. In Hinsicht auf die Kundschaft bot sich das übliche Panorama aus Helden, Halsabschneidern, Söldnern und Schurken dar – die jeweiligen Unterschiede ließen sich nur mit einer sorgfältigen Analyse feststellen. Dichte Rauchschwaden hingen in der Luft; vielleicht wollten sie vermeiden, die Wände zu berühren.
Die lauten Stimmen wurden etwas leiser, als die beiden Wächter eintraten, kehrten dann zu ihrem normalen akustischen Niveau zurück. Zwei Freunde winkten Nobby zu.
Der Korporal bemerkte plötzlich, daß Karotte beschäftigt war.
»Was tust du da?« fragte er. »Du willst doch nicht über Mütter reden, wie?«
»Ich halte meine Beobachtungen fest«, erwiderte Karotte grimmig. »In einem Notizbuch.«
»So isses richtig«, sagte Nobby. »Hier wird’s dir
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