Wachen! Wachen!
ein Glücksfall, daß wir den richtigen König gefunden haben«, murmelte Bruder Stukkateur. »Eine Chance von eins zu einer Million.«
»Wir haben
nicht
den richtigen König gefunden«, stellte der Oberste Größte Meister mit erzwungener Geduld fest. »Den richtigen König
brauchen
wir gar nicht. Zum letzten Mal: Ich habe mich für einen jungen Mann entschieden, dem eine Krone steht, der Befehle entgegennimmt und weiß, wie man ein Schwert schwingt. Und jetzt hört
aufmerksam
zu…«
Das Schwingen war natürlich wichtig. Es genügte nicht, einfach nur ein Schwert zu
halten.
Das Halten eines Schwerts, so fand der Oberste Größte Meister, stand in einem direkten – und oft recht blutigen – Zusammenhang mit dynastischer Chirurgie. Es kam nur darauf an, richtig auszuholen und zuzustoßen. Doch für einen König geziemte es sich, daß er sein Schwert
schwang.
Die Klinge mußte das Licht auf die richtige Art und Weise widerspiegeln, durfte bei den Zuschauern keinen Zweifel daran lassen, daß der vom Schicksal Auserwählte vor ihnen stand. Es hatte ziemlich viel Zeit und Geld gekostet, das Schwert und den Schild vorzubereiten. Der Schild glänzte wie eine Münze, die aus dem Ankh stammte – abgerieben, verätzt –, doch das Schwert war prächtig…
Die lange Klinge funkelte hell. Sie schien das Werk eines genialen Metallarbeiters zu sein – gemeint sind hier kleine Zen-Burschen, die nur beim Morgengrauen und während der Abenddämmerung arbeiten und so lange auf dicke Stahlblöcke hämmern, bis etwas entsteht, das am Rand so scharf ist wie ein Skalpell und die gleiche beeindruckende Kraft entfaltet wie ein sexbesessenes und tobsüchtiges Nashorn –, der sich anschließend kummervoll in den Ruhestand zurückzog, weil er genau wußte, daß er nie wieder etwas so Wundervolles herstellen konnte. Das Heft war mit so vielen Edelsteinen und Kristallen geschmückt, daß man es in eine Samtscheide hüllen mußte – man brauchte geschwärztes Glas, um es zu betrachten. Eigentlich genügte es völlig, die Hand darum zu schließen, um König zu werden.
Was den jungen Mann betraf… Er war ein Vetter dritten Grades, begeisterungsfähig, eingebildet und auf eine anerkennenswert aristokratische Weise dumm. Derzeit befand er sich – unter Bewachung – in einem fernen Bauernhaus und verfügte dort über einen angemessenen Vorrat an Getränken und hübschen jungen Frauen, obgleich seine Vorliebe in erster Linie Spiegeln galt.
Aus solchem Holz sind Helden geschnitzt,
dachte der Oberste Größte Meister.
Zumindest gehorsame Helden.
»Ich nehme an, er ist nicht der
echte
Ärbe des Throns, oder?« fragte Bruder Wachturm.
»Wie meinst du das?« entgegnete der Oberste Größte Meister.
»Nun, du kennst das Schicksal ja«, sagte Bruder Wachturm. »Spielt einem manchmal die seltsamsten Streiche. Haha. Wäre doch wirklich komisch, wenn sich der Junge als richtiger König herausstellt. Nach all unseren Mühen…«
»
Es gibt keinen richtigen König mehr!«
erwiderte der Oberste Größte Meister scharf. »Glaubst du etwa, daß irgendwelche Leute jahrhundertelang in der Wildnis umherwandern und sich die Zeit damit vertreiben, geduldig Schwert und Muttermal zu vererben? Denkst du in diesem Zusammenhang vielleicht an
Magie?«
Er spuckte das letzte Wort. Sie hatten Magie benutzt, als Mittel zum Zweck – der Zweck heiligte die Mittel und so weiter –, aber dem Obersten Größten Meister schauderte bei der Vorstellung, in der Magie moralische Kraft zu sehen, vergleichbar mit Logik. »Lieber Himmel, Mann, denk doch logisch! Sei vernünftig! Selbst wenn es Überlebende der alten königlichen Familie gibt… Inzwischen ist die ursprüngliche Blutlinie so sehr verwässert, daß Tausende Anspruch auf den Thron erheben könnten. Sogar…« Er suchte nach einem Beispiel für den unwahrscheinlichsten Thronanwärter. »Sogar Bruder Verdruß.« Er musterte die versammelten Brüder. »Übrigens: Warum ist er heute abend nicht hier?«
»Eine sonderbare Angelegenheit«, sagte Bruder Wachturm nachdenklich. »Hast du nichts davon gehört?«
»Wovon?«
»Gestern abend wurde er auf dem Heimweg von einem Krokodil gebissen. Armer Kerl.«
»Was?«
»Eine Chance von eins zu einer Million. Der Tier muß aus einer Menagerie oder so geflohen sein und versteckte sich im Hinterhof. Als Bruder Verdruß den Schlüssel unter der Fußmatte hervorholen wollte, erwischte ihn das Krokodil am Zupfel.« 16 Bruder Wachturm griff unter die Kutte, und kurz darauf kam
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