Wachgeküßt
Nerven und jederzeit bereit, eiligst hinter einem Aktenschrank zu verschwinden oder etwas in die Druckerei zu bringen, sobald er in der Nähe meines Platzes auftaucht.
Als das Wochenende naht, bin ich wild entschlossen auszuspannen. Ich habe noch nie in meinem Leben so hart gearbeitet wie in der vergangenen Woche. Ich bin völlig erledigt. Ich werde ausschlafen, gesund essen, meinen Alkoholkonsum einschränken, mir eine Gesichtsmassage, eine Maniküre und eine Pediküre gönnen und mich achtundvierzig Stunden lang grundsätzlich nur in Baumwolle hüllen.
Dummerweise zieht das Eintreffen der Post am späten Samstag morgen einen Schlußstrich unter meine Hoffnungen auf ein streßfreies Wochenende.
Zunächst aber bin ich ziemlich aufgeregt wegen eines großen, cremefarbenen Umschlags.
»Eine Einladung!« Ich grinse Emma hoffnungsvoll an und wedele mit dem Umschlag unter ihrer Nase hin und her, während sie im Bademantel am Küchentisch sitzt und sich durch eine große Portion selbstgemachten Obstsalates arbeitet. Sie hat ein Handtuch um ihr Haar gewickelt, dem sie gerade eine Packung verabreicht hat. Sie versucht, den Mund zu öffnen, ohne daß die eklig aussehende, blaßgrüne Maske abplatzt, die sie sich ins Gesicht geschmiert hat. Wie können diese Dinger nur Schönheitsmasken heißen, wenn sie einen so verdammt häßlich aussehen lassen, wenn man sie aufträgt?
Ich schlitze den dicken Umschlag auf, ziehe die Karte heraus und lese den Text im vergoldeten Prägedruck.
»Das kann er doch nicht ernst meinen!« platze ich heraus.
»Wer?« Ems jagt mit dem Löffel eine große Weintraube durch die Schale.
»Max.«
»Was will er denn diesmal?«
»Er schickt mir eine verdammte Einladung zu seiner verdammten Hochzeit!«
»Soll das ein Witz sein?« Emma läßt von ihrem Obstsalat ab und schenkt mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Dabei bröckelt ihre Maske langsam ab, weil sie die Stirn runzelt, wie sie es immer macht, wenn sie Max’ Namen hört.
»Ich wünschte, es wäre einer... was soll ich jetzt machen?« Ich starre auf die goldgeprägte Einladung und halte sie auf Armeslänge von mir, als ob sie vergiftet wäre oder so was.
»Was meinst du damit, was du jetzt machen sollst?« Emma nimmt mir die Karte weg und liest sie voller Verachtung. »Der
Mülleimer steht da in der Ecke... es sei denn, du bevorzugst einen feierlichen Verbrennungsakt. Für diesen Fall habe ich ein Feuerzeug in meiner Handtasche.«
»Ich kann sie nicht einfach wegwerfen!«
»Warum nicht? Jetzt erzähl mir bloß nicht, daß du mit dem Gedanken spielst, dort hinzugehen!«
»Wenn ich nicht gehe, denkt er bestimmt, daß ich mich zu sehr ärgere.«
»Aber das tust du doch.«
»Ja, aber ich ärgere mich auf andere Weise, als er es vermutet. Wenn ich nicht hingehe, denkt er, ich hocke irgendwo in einer dunklen Ecke und schluchze herzzerreißend, weil nicht ich diejenige bin, die den Mittelgang in der Kirche entlangschwebt wie eine frisch gebackene Cremetorte auf Beinen. Statt dessen sollte ich mir den größten Hut der Welt kaufen, hingehen und von sämtlichen Fotos grinsen, als würde ich mich wahnsinnig für die beiden freuen. Ich sollte Champagner in mich reinschütten, lächelnd Kuchenberge vertilgen, und überhaupt sollte ich mich amüsieren wie nie zuvor in meinem Leben.«
»Na ja, du könntest immer noch von deinem Einspruchsrecht Gebrauch machen, so nach dem Motto: Hat irgend jemand Einwände gegen diese Hochzeit?«
»Dummerweise ist es nicht verboten, ein Arschloch zu heiraten, oder?«
»Glaubst du wirklich, es ist eine gute Idee, da hinzugehen?« Emma kratzt sich an der Wange und eine grüne Flocke fällt in ihr Frühstück. »Ich meine, ich habe keine Probleme, deine Gedanken nachzuvollziehen, aber man kann den Bogen auch überspannen, und dann denkt jeder, daß alles nur Fassade ist und du am Boden zerstört bist, weil nicht du die Cremetorte mit einer Spitzengardine auf dem Kopf bist.«
»Da ist was dran... Kommst du mit? Dann kannst du mich warnen, wenn ich über die Stränge schlage.«
»Kommt nicht in Frage.« Entschlossen schüttelt Emma den Kopf.
»Biiiitte, da steht >mit Begleitung<.«
»Ich kann nicht mitkommen. Wenn du wirklich gehen willst, dann mußt du mit einem Mann hingehen.«
»Wirklich? Ich könnte ja Jem fragen, oder?«
»Diese Sorte Mann habe ich nicht gemeint.«
»Ich wußte gar nicht, daß es verschiedene Sorten gibt.«
»Ich hab die Sorte gemeint, die man sich um den Arm drapiert, so nach dem
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