Wachkoma
allerdings, wie sich diese durch den starken Schnee hatten kämpfen können. Bisher hatte sie noch keine Schneeräumfahrzeuge gesehen.
„Du musst die Schuhe ausziehen“, sagte in diesem Moment eine freundliche Stimme. Es war ein zierlicher, älterer Mann mit schneeweißen, langen Haaren, die er zu einem Zopf gebunden trug. Er saß direkt neben Beata auf seiner Matte und blickte auffordernd auf ihre Sportschuhe.
Beata schaute sich daraufhin unauffällig um und stellte fest, dass sie die Einzige war, die Schuhe anhatte.
„Danke für den Hinweis“, antwortete sie ihm schnell und öffnete die Schlaufen ihrer Schuhe.
Silvester, der diesen Kurs zu geben schien, hatte sienatürlich gleich entdeckt, als er den Raum betrat, und ihr zaghaft zugewinkt. Auch wenn er wohl befürchtete, Beata würde seinen Gruß nicht erwidern.
Was sie auch nicht tat.
„Wir haben heute eine Besucherin bei uns“, sprach er dann, als auch er still auf seiner Matte saß. „Ich möchte daher gerne mit ein paar allgemeinen Worten über unseren Kurs starten.“
„Muss das sein?“, fragte sich Beata. Sie hätte gern darauf verzichtet. Doch Silvester redete bereits drauflos.
„Yoga ist eine traditionelle indische philosophische Lehre, die sowohl körperliche als auch geistige Übungen beinhaltet. Ganz wichtig ist hierbei die Atmung. Ihr wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie erhält uns schließlich am Leben. Durch spezielle Atemübungen suchen wir im Yoga unsere Erleuchtung. Wir meditieren.“
Beata verstand nicht wirklich etwas von Meditation, glaubte aber, es könnte ihrer Mitte nicht schaden. Schließlich waren Yogaübungen etwas, das in ihrem Inneren stattfinden würde und mit viel Ruhe verbunden war. Sie waren somit genau das, was sie suchte.
Das ein oder andere kannte sie aus dem Pilateskurs, den sie in ihrer ersten Woche ausprobiert hatte. Dort ging es ebenfalls um die Mitte, die als Powerhouse die ganze Stunde über angespannt bleiben sollte, um sie zu stärken. Die Mitte musste schließlich den Rumpf und den Unterkörper tragen, wobei Beata danach leidlich feststellen musste, wie schwach ihre doch war. Sie hatte tagelang Muskelkater.
„Manche von uns versuchen, sich im Leben neu auszurichten und wollen etwas grundlegend verändern. Hierfür ist es förderlich, seine persönlichen Bedürfnisse zu kennen. Lasst uns also etwas über sie herausfinden, indem wir unseren Bauch erspüren“, forderte Silvester seine Kursteilnehmer auf.
„Wenn ihr euer inneres Auge auf den Bauchnabel richtet, eure Körpermitte, spürt ihr die Bewegung eures Bauches. Wie er sich mit jedem Atemzug bewegt. Er verrät euch ganz viel über den Körper. Er ist der Zugang zum Inneren. Setzt euch in den Lotussitz und beobachtet eure Bauchdecke, wie sie sich mit jedem Ein- und Ausatmen kraftvoll hebt und senkt. Spürt einfach, wie es fließt.“
Beata hatte als Einzige die Augen geöffnet und saß im Schneidersitz auf ihrer Matte. Sie atmete tief ein und aus, drückte bei jedem Ausatmen die Bauchdecke nach außen und zog sie beim Einatmen wieder ein.
Sie spürte, wie sich dabei ihre Rippenbögen wie Eisschollen auseinanderschoben und beim Einatmen wieder zusammenzogen, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie eins sein wollten oder nicht.
„Massiert nun behutsam mit den Fingerspitzen um den Bauchnabel herum. In einem kleinen Radius für ein bis zwei Minuten“, sprach Silvester, der selbst mit geschlossenen Augen auf seiner Matte saß.
Beata folgte seiner Anweisung und massierte sanft ihren Bauch.
„Macht nun kleine, kreisende Bewegungen im Innerendes Bauchnabels und konzentriert euch auf ihn. Ihr werdet eure Mitte spüren und sie wird euch etwas sagen.“
Beata runzelte die Stirn.
Sie sollte sich im Bauchnabel herumfummeln? Das ging ihr jetzt ein wenig zu weit. Sie würde diese Übung einfach aussetzen und machte eine kleine Pause.
„Was sagen euch eure Bedürfnisse?“, fragte Silvester schließlich. „Welche Fragen stellt ihr?“
Beata pausierte noch immer.
Sie hatte ab dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Finger hätte in den Bauchnabel stecken sollen, den Anschluss verloren und spürte rein gar nichts aus ihrem Inneren.
„Wie auch?“, dachte sie sich. Schließlich hatte sie zurzeit kein Inneres, keine Mitte, die etwas hätte sagen können.
„Wenn dir die Antwort nicht gefallen hat, die dir dein Inneres gegeben hat, dann solltest du ein paar Mal tief ein- und ausatmen und die Frage einfach wieder loslassen“, flüsterte der
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