Wachkoma
hinweg.
Nach der Massage und einem anschließenden kurzen Schläfchen fühlte sich Beata wie neugeboren und konnte ihrem Sekretär den regelmäßigen Gang zur Massage gut nachempfinden. So saß sie bereits kurz darauf bei einer Tasse guten Tees beim Grußkartenschreiben und fühlte sich wieder motiviert. Das bekräftigte ihren Schritt zusätzlich, das Schreiben wieder angefangen zu haben.
Während sie in dem kleinen Büchlein blätterte, auf der Suche nach einem ganz besonders passenden Spruch, entdeckte sie schließlich folgenden:
„Viele haben beim Besteigen eines Aussichtspunktes nur das Ziel im Auge und sind oftmals enttäuscht. Der Kluge sieht sich unterwegs um und genießt manchen schönen Ausblick. So auch im Leben.“
Gottfried Keller (1819-1890)
Sehr passend, dachte Beata. Denn auch sie würde nicht länger unmerklich starr geradeaus blicken, um am Ende ihrer Tage enttäuscht zu sein. Sie spürte es bereits – die Reise zu ihrer Mitte hatte begonnen.
***
Beata lauschte den entspannenden Klängen der CD, so wie die anderen Damen im Raum auch. Und sie verspürte vielleicht sogar einen leichten Anflug von Leidenschaft beim Schreiben. Zumindest spürte sie, wie sich ihre Leere dabei immer weniger fühlen ließ.
Nachdem sie die letzte Grußkarte für diesen Nachmittag geschrieben und in den Sammelkorb gelegt hatte, von wo aus man sie später in den Drehständer im kleinen Ladengeschäft einsortieren würde, machte sie sich wie gewohnt auf den Weg zum Schotterweg, der hinter das Haus zum See führte. Sie wollte zum Ausklang des Tages ihre kleine Runde drehen.
Draußen war es, wie bereits beim Walken am Mittag, noch immer sehr kalt. Beata war darauf vorbereitet, hatte sich warm angezogen und lief einfach drauflos.
Da es die letzten Tage so stark geschneit hatte, war die Hollywoodschaukel komplett mit Schnee bedeckt. Man konnte eigentlich nur ahnen, dass sie es war, die sich unter dem Schneehaufen verbarg.
Beata lächelte bei ihrem Anblick.
Die Schneefront hat den Norden erfasst, würde es in Frankfurt sicherlich im Wetterbericht hochgespielt werden, dachte sie und schmunzelte belustigt.
In Frankfurt gab es nur sehr selten Schnee, sodass es fast ein besonderer Anblick war, von so viel Weiß umgeben zu sein. Und wenn es tatsächlich einmal schneite, blieb der Schnee nie lange liegen. Was vielleicht auch gut war, denn der Verkehr drohte bereits bei Schneematsch zusammenzubrechen, als könne plötzlich niemand mehr Auto fahren, sobald etwas Schnee auf der Fahrbahn lag.
Da Beata aber die nächsten Tage keinen Wagen brauchte, stapfte sie noch einige Meter weiter durch den Schnee und genoss ihn und die frische, klare Luft.
Und auch der nächste Tag versprach wieder schön zu werden, denn es war keine einzige Wolke am dämmernden Himmel zu sehen. Die Sonne strahlte tatsächlich bereits früh am nächsten Morgen. Sie schien Beata bis auf den Frühstückstisch, als sie gerade ihre zweite Tasse grünen Tees ausgetrunken hatte und gerade im Begriff war aufzustehen. In fünf Minuten musste sie schon draußen stehen, da die Walkinggruppe wieder pünktlich loslaufen würde.
Sie nahmen denselben Weg wie am Vortag, doch ihre alten Fußspuren waren nicht mehr zu erkennen, der Neuschnee hatte sie in der Nacht überdeckt.
Nach den ersten hundert Metern kamen sie an einer Yogagruppe vorbei, die trotz der Kälte ihre Übungen im Freien machte. Die Teilnehmer standen einbeinig und still, wie gefrorene Flamingos, im Schnee. Ihr eines Bein war angewinkelt in die Kniebeugen des anderen Beins gestemmt und ihre Hände waren vor der Brust gefaltet, als beteten sie. Voller Ruhe, wie Beata fand, standen sie auf einem Bein, als hätten sie sich in ihr Umfeld harmonisch integriert. Ob sie Yoga auch einmal versuchen sollte?
***
Schon beim nächsten Yogakurs nahm sich Beata eine Matte aus dem Schrank, legte sie vor sich auf den Boden und setzte sich darauf.
Diesmal fand der Kurs drinnen statt, in dem kleinen Fitnessraum neben dem Wellnessbereich, was Beata angesichts der Kälte draußen auch sehr begrüßte.
Sie war überrascht, wie viele an diesem Kurs teilnahmen. Es waren sogar mehr als beim Abendessen.
Beata schätzte, dass mindestens dreißig Kursteilnehmer anwesend waren, wohingegen beim Essen in dem dafür vorgesehenen Raum überhaupt nur Platz für etwa zwanzig Personen war.
Vielleicht waren es auch Leute von auswärts, dachte sie sich, denn mehr als die Hälfte sah sie an diesem Tag zum ersten Mal.
Beata fragte sich
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