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Wachkoma

Wachkoma

Titel: Wachkoma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin P. Meranius
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konzentrierte, als wollte es endlich gehört werden.
    Wie Didier ihr nach dem Kurs erklären würde, spürte sie eine Reaktion im sogenannten zweiten Chakra, der zwei Fingerbreit unter dem Nabel liegt und für Lebensfreude und Kreativität steht.
    Beata war fasziniert und neugierig zugleich, was es wohl mit diesem Gefühl auf sich haben würde.
    Von Stunde zu Stunde ließ sie sich mehr darauf ein. Konzentrierte sich darauf, entspannt und ohne Erwartungen. Bis es sich ihr plötzlich in Bildern zeigte und Beata sich in einem Tagtraum glaubte.
    Sie war wie zurückversetzt in eine andere Welt, in eine andere Zeit, und sah sich als junges Mädchen am Sekretär ihres Vaters schreiben. Es musste ihr altes Geschichtenbuch sein, in das sie hineinschrieb.
    Dass sie sich daran überhaupt noch erinnerte?
    Seit über zwanzig Jahren hatte sie es nicht mehr in den Händen gehalten.
    Ihr Vater war oft geschäftlich tagelang unterwegs gewesen und viel herumgekommen. Hier und da schnappte er Geschichten auf, die er Beata erzählte, wenn er wieder zurück war.
    Es waren Geschichten und Erzählungen, die seit Generationen übermittelt wurden. Und ihr Vater kannte sie fast alle. Er trank abends häufig ein Glas Wein, am liebsten in urigen Marktschänken, wo die Wirte noch immer persönlich hinter dem Tresen standen und ohne Frage die besten Geschichten erzählen konnten.
    Er schrieb sie für Beata auf einen Bierdeckel und wenn er dann von seiner Reise zurück war, machten sie es sich gemütlich und er erzählte ihr von den Geschichten, als habe er sie auf seiner Reise selbst erlebt. Vielleicht blickte Beata auch deshalb schon ihr Leben lang zu ihm auf und glaubte, er sei ein Held. Alles, was er ihr erzählte, schrieb sie dann schließlich in ihr Geschichtenbuch. So überbrückte sie die vielen Tage im Jahr, in denen ihr Vater verreist war, und las zum Trost darin.
    Die Erinnerungen waren nicht nur ganz klar vor ihrem inneren Auge, sie spürte auch etwas, was sie in diesem Augenblick nicht genau definieren konnte.
    Als gegen Ende des Kurses wieder alle im Lotussitz zu meditieren begannen, versuchte Beata, sich erneut zu entspannen. Sie schloss ihre Augen und atmete ganz bewusst in den Brustkorb hinein. Ihre Rippenbögen weiteten und schlossen sich wieder rhythmisch, wie Eisschollen.
    Nachdem sie ungefähr zehn Mal tief ein- und ausgeatmet hatte, wurde ihr etwas schwindelig. Doch sie atmete weiter. Und war dabei völlig entspannt und ganz bei sich, ohne etwas Besonderes zu tun. Einfach nur, indem sie atmete. Und sie sah erneut das Bild des Mädchens, das schrieb.
    „Das sah doch schon ganz gut aus, oder?“, rief Didier am Kursende freudig. „Aber lass mich dir noch ein oder zwei weitere Übungen zeigen.“
    Didier wartete, bis der letzte Teilnehmer den Raum verlassen hatte, und zeigte Beata schließlich die Babyposition. Er legte seinen Oberkörper flach auf seinen Oberschenkeln ab, wie ein Embryo. Seine Stirn berührte dabei sanft den Mattenboden. Die Arme lagen eng neben seinem Körper.
    „Die Babyposition entspannt deinen Rücken und auch deine Organe. Aber vor allem hilft sie dir, im Alltag loszulassen.“
    Beata war beeindruckt.
    „Und um dich, nachdem du losgelassen hast, auch deinem Ziel wieder kraftvoll widmen zu können, brauchst du neuen Mut und eine große Portion Zielstrebigkeit. Und die bekommst du von der Bogenschützenposition“, erklärte Didier und stand bereits mit auseinander gestellten Beinen und leicht eingedrehtem Oberkörper auf der Matte, als würde er jeden Moment einen Pfeil abschießen.
    ***

Beata und Didier waren an diesem Abend so auf ihre Übungen konzentriert, dass sie dabei völlig die Zeit vergaßen. Draußen war es bereits dunkel geworden.
    „Komm, ich lade dich abschließend auf ein Glas Wein ein“, sagte Didier. „Das kannst du meiner alten Seele wohl kaum ausschlagen.“
    Gemeinsam liefen sie hinauf ins Foyer, bestellten eine Flasche Rotwein und setzten sich vor das Kaminfeuer in das bequeme Sofa.
    „Didier, verzeihen Sie mir meine Neugier, aber Sie scheinen öfter hier zu sein. Sie wohnen hier jedoch nicht, oder? Beim Frühstück habe ich Sie nämlich noch nie gesehen“, eröffnete Beata gleich das Gespräch.
    „Nein, ich wohne hier nicht direkt. Ich bin nur immer mal wieder hier. Immer dann, wenn ich merke, dass es Zeit ist, eine Pause einzulegen. Dann setze ich mich, wo auch immer ich gerade bin, hin und meditiere. Und bin schließlich hier“, antwortete er wie

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