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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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auch, daß er, als die starken Arme ihn näher zogen, noch gedacht hatte, der Leichenfrack hat keinen Kragen, keinen, den man so weit hochschlagen könnte. Dann dachte er, es sei ein Vogel, eine Gebirgsdohle, pechschwarz, die herabgestoßen war, um ihm die Augen auszuhacken. Dann stach ihn das Gestrüpp aus winzigen Nadeln und teilte sich vor ihm, und er dachte, das ist Jonathan , weil er dunkel ist , er hat sich einen Vollbart wachsen lassen , um zu sein wie Gott .
    »Er fand, er habe ein schwaches Kinn«, sagte Helen, die wartete, bis sie fertig waren.
    »Gefällt er dir, Lover?«
    »Hinreißend. Wunderbar. Wie findet Helen ihn?«
     
    Sie legten die kurze Fahrt im Taxi zurück. Der Bentley war zu versnobt, hatte Cassidy gefunden; am besten nahm man ein simples Londoner Taxi, das sie nicht in Verlegenheit setzen würde.
    Es war unvermeidlich, daß nach Cassidys Aufregung über ihr Kommen, ganz zu schweigen von den zahllosen kleinen Vorbereitungen administrativer und häuslicher Art – würden die Gardinen rechtzeitig fertig werden, hatte Fortnum die Adresse gewechselt? –, wirklich unvermeidlich, daß dieser erste Tag eine Art Spannungsabfall brachte. Cassidy wußte, daß Helen ihm, nach den vielen heimlichen Telefongesprächen, die sie in Shamus’ Interesse geführt hatten, eine Menge zu sagen haben würde; er wußte auch, daß seine erste Sorge Shamus zu gelten habe, dem Grund und der Triebkraft ihres Wiedersehens.
    Doch Shamus stellte ihre Geduld auf eine harte Probe..
    Er hatte Helen auf den Notsitz verwiesen, damit er und Cassidy bequem Händchen halten konnten, und zeigte Cassidy als erstes, wie man seinen Bart streicheln müsse, in dieser Richtung nämlich, von oben nach unten, niemals gegen den Strich. Als nächstes unterzog er Cassidy einer Art ärztlicher Untersuchung, tastete seine Arme und Beine nach irgendwelchen Zeichen von Verletzungen ab, strich ihm übers Haar und studierte seine Handflächen. Und nachdem er mit allem zufrieden war, wiederholte er seine Bewunderung für Cassidys Anzug, der aus Harris-Tweed und keineswegs hauteng war, graues Fischgrätenmuster für halboffizielle Anlässe. War er französisch? War er wasserdicht?
    »Was macht die Arbeit?« fragte Cassidy, um auf ein anderes Thema überzulenken.
    »Nie versucht«, sagte Shamus.
    »Er kommt fabelhaft voran«, sagte Helen. »Überhaupt nur Famoses zu vermelden, nicht wahr, Shamus? Ehrlich, Cassidy, seit seiner Rückkehr arbeitet er wunderbar, nicht wahr, Shamus? Vier, fünf Stunden pro Tag. Manchmal mehr, es ist einfach fantastisch.«
    Ihre Augen sagten mehr: Wir verdanken es Ihnen, Sie haben einen neuen Menschen aus ihm gemacht.
    »Freut mich zu hören«, sagte Cassidy, während Shamus eine Ecke seines Taschentuchs anleckte und einen Schmutzfleck von Cassidys Backe rieb.
    Und das beste von allem sei, verriet ihm Helen, daß Dale von London heruntergekommen sei und er und Shamus sich einen ganzen Tag lang fantastisch verstanden hätten.
    »Großartig«, sagte Cassidy lächelnd und wehrte weitere intime Umarmungen freundschaftlich ab.
    »Nicht eifersüchtig, Lover?« erkundigte Shamus sich besorgt. »Nicht verstimmt? Ehrlich, Lover? Ehrlich?«
    »Ich denke, ich werd’s überleben«, sagte Cassidy mit einem weiteren verständnisinnigen Blick zu Helen.
    »Eigentlich«, sagte Helen, »heißt Dale gar nicht Dale, nicht wahr, Shamus? Er heißt Michaelowitsch, er ist Jude, alle guten Verleger sind Juden, nicht wahr, Shamus? Nun, natürlich ist das kein Wunder, sie haben einen fantastischen Geschmack in Kunst und Literatur, Shamus sagt das immer.«
    »Das stimmt wirklich«, pflichtete Cassidy bei und dachte an Niesthals und an etwas, das Sandra vor kurzem gesagt hatte. »Das stimmt wirklich«, wiederholte er, dankbar für ein Gesprächsthema, bei dem er glänzen konnte. »Es ist historisch begründet: Die Juden durften nie ein eigenes Vaterland besitzen. Praktisch über ganz Europa hin verstreut, das ganze Mittelalter hindurch. Die Holländer waren wunderbar zu ihnen, nun sind die Holländer allerdings überhaupt wunderbare Leute, denken Sie nur, wie sie den Deutschen Widerstand leisteten. Was also ist die Folge? Die Juden mußten sich auf internationale Werte verlegen. Wie Diamanten und Gemälde und Musik und dergleichen, was sie überallhin mitnehmen konnten, wenn sie verfolgt wurden.«
    »Lover«, sagte Shamus.
    »Ja.«
    »Halt’s Maul.«
     
    »Bitte erzählen Sie weiter von Dale«, sagte Cassidy zu Helen und versuchte nicht zu

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