Wachsam
» Shamus . Lover, wach auf!«
Shamus, du bist der letzte Dreck, aber du bist unser Priester, und wenn du nicht aufpaßt, dann wirst du uns trauen.
Shamus, ich liebe dich und du liebst mich, ich sehe es dir an, auch dann, wenn du mich haßt, sehnst du dich nach mir. Lebend oder tot, Shamus, nackt oder in deinem Leichenfrack, bei den Huren im grünen Bordell oder unter den Kerzen in Sacré-Cœur, bist du unser Genius, unser Vater, unser Schöpfer. Daher, wenn du mich liebst, wach auf und erlöse mich aus dieser unwirklichen Situation. »Shamus, wach auf!«
Ich bin nicht wie du, Shamus, ich bin kein Gefühlsmensch, ich bin kein Draufgänger. Ich bin der Sohn eines Hoteliers. Das und nicht mehr. Ich bin Verstandesmensch, und mir sind die Dinge recht so, wie sie sind, solange sie meiner Sache nützen. Ich bin kein Menschenfreund, sondern ein Freund von Kompromissen und orthodoxen Meinungen. Du kannst mich mit Recht als das archetypische Opfer des Knopfspiels bezeichnen. Ich bin ein Jaguarfahrer, ein Gerrards Crosser, ein Doktor und recht häufig ein Bischof auf Seelenfang. Ich halte sehr viel auf die Vergangenheit, und wenn ich wüßte, woher ich komme, würde ich wie ein Pfeil dorthin zurückkehren. Und ich bin auch, du hast ganz recht, ein Scheißkerl.
Und jetzt, Shamus, nachdem du mir das alles nachgewiesen hast, völlig schlüssig nachgewiesen, sei so freundlich, wach auf und hilf mir hier raus!
»Cassidy? Ici parle Hélène. Bonjour.«
» Bonjour «, sagte Cassidy höflich.
Er hätte mich bei Lipp nicht mit Wasser übergießen sollen .
Er hätte mich nicht beim Fußballspielen verletzen sollen .
Er hätte Sal keinen unsittlichen Antrag machen sollen , nur weil er einen Zuammenprall wollte .
»Verzeih, Lover, verzeih. Bitte verzeih.«
Ohne die Augen zu öffnen, zog Shamus Cassidys Hand ins Bett und hielt sie an seine heiße Wange.
»Es gibt nichts zu verzeihen«, flüsterte Cassidy. »Alles in Ordnung. Sag, wie wär’s mit ein bißchen mehr Formaldehyd?«
Er stand auf und wollte das Deckenlicht anknipsen, als Shamus aufs neue sprach, diesmal mit recht kräftiger Stimme.
»Jede Menge, Lover. Jede Menge zu verzeihen.«
»Was denn?«
»Hab’ Hall den Bentley geliehen. Weißt du, er war besoffen. Und ich konnte ihn doch nicht im Taxi wegfahren lassen, oder? Mußte stilvoll scheiden. Nicht böse, Lover?«
»Warum sollte ich?«
»Schlägst du mich nicht?«
»Schlaf jetzt«, sagte Cassidy.
» Je m’appelle Hélène «, verkündete Helen , noch immer aus dem Badezimmer. Sie nahm seit kurzem Französisch-Unterricht in einem Sprachinstitut in der Chester Street.
» Hélène est mon nom . Hurrah pour Hélène . Hélène est beau . Belle . Scheiße. Beau-belle, bobell, bobell, bel! bell!«
Er saß im Dunkeln. Er hatte die Lampe neben dem Sofa ausgeknipst, so daß das einzige Licht aus dem Schlafzimmer kam und, indirekt, durch die offene Tür des Badezimmers.
»Cassidy, ich weiß, daß Sie mir zuhören.«
Ein Glück, daß ich damals das Hotel gekauft habe, wirklich. Jetzt, da ich darin leben muß. Die Grundelemente des Lebens, sagte Old Hugo. Essen, Trinken und jetzt dies. Ein Glück, daß der Markt in die andere Richtung tendierte.
»Haben Sie in Paris viele Frauen gehabt?« fragte Helen über das sanfte Wasserplätschern hinweg.
»Nein.«
»Nicht mal eine oder zwei?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich würd’s tun, wenn ich ein Mann wär’. Ich würde mir alle von uns nehmen, peng, peng, peng. Wir sind so schön . Ich würde nicht fragen, ich würde mich nicht entschuldigen, ich würde mir nichts denken. Dem Sieger die Beute. Scheiße!« – Sie mußte sich irgendwo angestoßen haben – »Warum macht man Türklinken an die Türen?«
»Schlamperei«, sagte Cassidy.
»Ich meine, nehmen Sie Sal. Schwachsinnig. Komplett. Warum also nicht eine Nutte sein? Bringt Spaß, bringt Geld. Ich meine, es ist nett, eine Sache richtig machen, finden Sie nicht, Cassidy?«
Sie stieg jetzt heraus, ein Bein, zwei Beine; er konnte das Rubbeln des Handtuchs hören.
»Ja.«
»Was begehren Sie am meisten auf der Welt?«
Dich vielleicht, dachte Cassidy; vielleicht auch nicht.
»Sie«, sagte er.
Es klopfte. Der Etagenkellner fuhr den Servierwagen herein. Ein Mann in mittleren Jahren und sehr höflich.
»Hier herein, Sir?« fragte er und übersah die Gestalt auf dem Sofa. »Oder nebenan?«
»Hier herein, bitte.«
Er stellte den Wagen parallel zu Shamus wie ein Verbandswägelchen,
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