Wachsam
…«
Er hörte das Knistern ihres Kleides, als sie sich bequemer auf dem Bett zurechtsetzte.
»Sind Sie braun, Cassidy? Ich stelle Sie mir immer goldbraun vor. Nur einen säuberlich weißen Po, und alles übrige golden.« Weiteres Rascheln aus dem Bett. »Ich bin in einem Schlitten«, erläuterte sie. »In Bärenfelle gehüllt. Wischwisch . Und sibirische Wölfe rundherum.« Ein Wolfsgeheul: »Ouuu-uu. Das ist das wahre Leben hier draußen. Cassidy.«
»Ja.«
» Sie würden mich beschützen, nicht wahr, Cassidy. Ein Blick auf Sie, und jeder Wolf …« Sie verlor den Faden. »Und jedem Wolf fällt …« Sie verlor den Faden. »Wolffeld«, wiederholte sie. »Klingt wie eine Bahnstation, Cassidy, was wäre Ihnen lieber, von Kosaken vergewaltigt werden oder von Wölfen in Stücke gerissen?«
»Keines von beidem«, sagte Cassidy.
»Mir auch«, pflichtete Helen verbindlich bei. »Wissen Sie, Gorillas vergewaltigen Frauen. Ich hätte das nicht gern. Cassidy.«
»Ja.«
»Haben Sie Haare auf der Brust? Ein Zeichen für Männlichkeit, oder?«
»Angeblich.«
»Wissen Sie, schon ganz kleine Jungen haben Erektionen. Sogar Babys, ganz erstaunlich. Cassidy.«
»Ja.«
»Ich fühle mich sehr naiv. Sie nicht?« Schweigen. »Oder nur sentimentalisch?«
»Hallo, Lover«, sagte Shamus und schlug die Augen auf.
Cassidy packte ihn bei den Schultern und ging daran, ihm die Wangen zu klopfen, ihn aufzusetzen, und er versuchte, sich zu erinnern, was die Sekundanten bei Boxkämpfen taten, um ihre Champions in den Ring zurückzubringen.
»Shamus, hör zu, hör mir zu. Shamus, sie sinnt auf Mord, bring sie weg, wir müssen sie …«
»Wo ist Hall?« sagte Shamus.
»Verschwunden. He, wie wär’s, wenn wir uns aufmachten und ihn suchten? In der Cable Street, wie wär’s damit? Uns besaufen, uns herumprügeln, den Mond vom Himmel schießen, warum nicht? Cable Street! Das ist das Richtige für uns, nicht wie hier, alles hygienisch und blitzblank.«
»Warum hat er mich nicht geschlagen?«
»Warum sollte er? Er liebt dich. Er ist dein Freund, genau wie ich. Freunde schlägt man nicht, man schlägt nur Feinde.«
»Sie hat’s ihm gesagt«, berichtete Shamus in plötzlich klarer Erinnerung. »Sitzt da und sagt’s ihm ins Gesicht. ›Hall, Shamus hat mir einen Fünfer angeboten, wenn ich’s mit ihm mache, und ich will nach Hause.‹ Er hat mich nur angesehen. Warum hat er das getan, Lover? Herrgott, er hätte mich mit der Hand erschlagen können. Denk nur, was er mit dem Bootsmann gemacht hat, der Junge ist fürs Leben ein Krüppel. Was stimmt nicht mit mir? Ich meine, ein Boxer ! Wenn ein Boxer mich nicht schlagen will, wer, zum Teufel, dann?«
Da er keine Antwort erhielt, dafür aber vielleicht Cassidys frisches, mit Seife geschrubbtes Gesicht sah, zielte er mit der Faust nach ihm und schlug daneben.
»Himmel!« brüllte er. »Will denn keiner mich schlagen.« Und fiel wie ein Stein aufs Kissen zurück, wo er vor Schmerz die Augen schloß.
»Cassidy«, rief Helen.
»Ja.«
»Haben Sie mich nicht gehört?«
»Ich weiß nicht. Nein.«
»Ich bin jetzt keine Hure mehr.«
»Gut so.«
Shamus runzelte die Stirn. »Das klang wie Helen«, sagte er.
»War es. Sie nimmt ein Bad.«
Cassidy lauschte und hörte das Wasser auf dem Mond rinnen und einzelne Klänge von Tanzmusik aus einem kosmischen Radio, im Stil Frank Sinatras.
»Was, zum Teufel, hat Helen in Paristown zu suchen?« wollte Shamus gereizt wissen.
»Wir sind nicht in Paris. Wir sind in London.«
Und das ist der Haken, dachte Cassidy. In Paris wäre das alles noch einigermaßen entschuldbar. In London leider nicht; nicht einmal einigermaßen.
Das Wasserrauschen hörte auf.
»Cassidy«, rief Helen wieder.
»Ja.«
»Einfach nur Cassidy«, sagte sie mit der tiefen Zufriedenheit eines Menschen, der nackt in einem warmen Bad liegt. »Einfach nur ein hübscher Name, weiter nichts. Cassidy. Ich sage es einfach gern. Weil es ein hübscher Name ist.«
»Fein«, sagte Cassidy.
»Menge Weiber hier, Junge«, sagte Shamus, drehte sich um und schlief ein.
»Cassidy«, sagte Helen. »Cassidy. Cassidy. Cassidy?«
In Sherborne, Shamus, nannten wir es hunzen.
Wir hatten vielleicht keine sehr hohe Meinung von uns selber – das wäre Hybris gewesen und sollte nicht gefördert werden –, aber jeder hatte, wie ich glaube, Achtung vor dem anderen. Jedenfalls die Anständigeren von uns. Das, Shamus, ist, wie ich meine, die Definition eines anständigen Menschen. Es
Weitere Kostenlose Bücher