Wachsam
Diagnose . Keine Therapie.«
»Ja. Ich liebe ihn, ich auch!«
»Sie sind nicht abgesprungen?«
»Nein.«
»Was bedeutet«, bemerkte sie mit Genugtuung, »daß wir ihn beide lieben. Ausgezeichnet. Dafür verdienen wir eine Eins. Wissen Sie, Cassidy, ich habe außer Shamus nie einen Liebhaber gehabt. Und Sie auch nicht, oder?«
»Nein.«
»Folglich halte ich ein gewisses Maß an Voraussicht für ratsam. Ist das Kaffee?«
Er goß ihn ihr ein, auch Sahne, aber keinen Zucker. Er goß die Sahne so ein, wie Sandra es machte, über den umgekehrten Löffel, damit sie nicht zu tief einsank.
»Halten Sie folgenden Test für fair: Was würden wir aufgeben?« schlug Helen vor. »Würde ich zum Beispiel Shamus aufgeben wollen? Würden Sie die Leitkuh und die beiden Kälbchen aufgeben? Sie sehen, Cassidy, hier geht es um Verlieren, nicht nur um Verlieben.«
Cassidy wurde sich unvermittelt, wenn auch mit aller Vorsicht, eines tiefen Beschützerdranges bewußt. Ebenso hätte ein Kind über die Weltwirtschaft sprechen können wie Helen über Verlieren; denn sie vermittelte ihm einen Frieden, der wie ein Waffenstillstand nach langem Kriege war. Er entdeckte, fühlte vielleicht in ihr eine Möglichkeit zu ehrlicher Kameradschaft, die ihm bislang auf all seinen einsamen Wegen, in all seinen Versuchen, allein zu leben, unmöglich erschienen war. Das Lachen, das er mit Shamus geteilt hatte, war nicht verhallt; denn in Helen konnte er es besitzen, ihm vertrauen, es seiner Gewalttätigkeit entkleiden. Sie lächelte ihm zu, und er wußte, daß er zurücklächelte. Als er sie ansah, wußte er auch, daß der Verlust hinter ihm lag, nicht vor ihm: Und er sah die leeren Herbststädte, die geteerten Lagerhäuser, die öde Straße vor der Kühlerhaube seines Wagens, und wußte jetzt, daß sie nichts anderes waren als Orte, an denen er vergeblich nach Helen gesucht hatte. »Ich liebe Sie«, sagte Cassidy. »Fein«, sagte Helen munter. »Mir geht es ebenso.«
Der Servierwagen quietschte, als sie ihn hinausschob. Sie wickelte das Handtuch fester um sich und dirigierte die schwierigen Räder geschickt durch die offene Tür in den Salon.
Während er allein auf dem Bett saß und auf ihre Rückkehr wartete, wurde Cassidy von den widerstrebendsten Empfindungen heimgesucht; in der Mehrzahl jedoch strebten sie in die Richtung nackter Furcht.
Zunächst wandte Old Hugo sich an seinen göttlichen Arbeitgeber.
Good morning , Lord , sagte er munter auf seiner Fichtenkanzel irgendwo in England und hielt die riesigen Hände in sportlicher Frömmigkeit gefaltet: Wie geht es Dir? Hier sprechen Hugo Cassidy und seine Herde zu Dir vom Zion-Tempel in East Grinstead , Sussex , wir bringen Dir die Gebete unserer Herzen dar an diesem schönen Freitag um Mitternacht . Blicke herab in Deiner Güte auf den jungen Aldo hier , bitte , o Herr . Eben jetzt schwankt er bedenklich zwischen Sünde und Tugend . Nach meiner Meinung , so unmaßgeblich sie ist , Herr , hat er sich gründlich in die Nesseln gesetzt , doch nur DU , O HERR , in Deiner Weisheit kannst da eine endgültige Entscheidung treffen . Amen .
Noch war es nicht zu spät. Wenn er seine Karten richtig ausspielte, hinhaltend plauderte, vielleicht eine kleine Krankheit vorschützte, Kopfschmerzen oder eine gastrische Störung, konnte er sich noch immer aus der Affäre ziehen. Zunächst vielleicht ein kleines Wortgeplänkel – nun, das war seine Stärke –, ein bißchen Küssen und Kosen und dann sich anziehen, verabschieden und später darüber lachen wie über eine Eselei, die sie beide beinah gemacht hätten.
Niemals bereuen , nie erklären , nie sich entschuldigen …
Würde sie kommen? Eine jähe Hoffnung flößte ihm Mut ein. Sie hat sich aus dem Staub gemacht. Hat Shamus angesehen, ein schlechtes Gewissen gekriegt und die Flucht ergriffen …
In einem Badetuch?
Die Logik ist mein Feind, dachte Cassidy; ich hätte nie studieren sollen.
Er hörte, wie die Tür sich leise schloß und der Riegel davorglitt; er hörte, wie sie wieder ins Badezimmer ging, und er wußte, daß sie das Handtuch aufhängte, denn sie war ordnungsliebend. Plötzlich sah er in seiner Panik die totale Pleite vor sich. Er sah einen zweiten Cassidy, der sich wand, abrackerte, abrückte, sich mit seiner nicht entstandenen Männlichkeit herumschlug; er hörte Shamus’ Gelächter durch die Wand schallen und Helens, Sandras unterdrücktes Zornesknurren über seine Unzulänglichkeit.
Die großen
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