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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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unser Zweifel . Der Rest ist der Wahnsinn der Kunst .«
    »Genau wie bei Shamus, ehrlich, nicht wahr, Shamus? Shamus, ich sprach über Henry James.«
    »Nie von den Leuten gehört«, sagt Shamus.
    Der Bischof hat Madame Gerrard Crossers Hand ergriffen und sammelt offenbar Mut zu einem Kuß.
    »Und dann die Sache mit der Identität«, fährt Helen, nun wieder an Cassidy gewandt, fort. »Sie wissen, das Wer- sind - Wir? Dieser Teil des Buches hat im Grunde viel von Dostojewskij, natürlich kein Plagiat, nur ähnlich in der Konzeption , nicht wahr, Shamus?«
    Shamus ist anderweitig interessiert, er ignoriert sie. »Ich meine, der Symbolismus, allein auf dieser einen Ebene, ist unerhört, und das Buch hat so viele Ebenen, ich habe es ein halbes dutzendmal gelesen und noch nicht alle mitgekriegt.«
    »Können Sie folgen, Cassidy?« erkundigt Shamus sich über die Schulter. »Des Pudels Kern erfaßt, Lover?«
    Schließlich hatte er genug von den Brunstriten der viel zu vielen, er zieht seinen Stuhl wieder an den Tisch und angelt nach der Speisekarte, liest sie und bewegt dabei die Lippen in einem zärtlichen italienischen Flüstern. »Himmel«, murmelt er einmal, » cacciatori hab’ ich immer für einen Papagei gehalten.«
    Helen senkt die Stimme.
    »Das gleiche gilt für das Leiden. Schauen Sie Pascal an, schauen Sie nur an, wen Sie wollen … wir müssen zutiefst leiden. Tun wir es nicht, wie in aller Welt können wir das Leiden überwinden? Wie in aller Welt können wir schöpferisch werden? Wie? Und darum haßt er den Mittelstand. Und ich meine, kann man es ihm verübeln? Sie schließen immerzu Kompromisse. Mit dem Leben, mit der Leidenschaft, mit … nun, eben mit allem.«
    Sie wird von Shamus’ Applaus unterbrochen. Er klatscht laut, und eine Menge Leute sehen her, also wechselt Cassidy das Thema und spricht von Politik: Daß er vorhabe, sich als Kandidat aufstellen zu lassen, daß sein Vater mit Leib und Seele Parlamentarier war, jetzt natürlich im Ruhestand, aber nach wie vor leidenschaftlich der Sache verbunden, daß Cassidy an eine aufgeklärte Form von Selbsthilfe glaube, nicht, wie die Liberalen alten Stils …
    »Miau«, sagt Shamus, er hat das Interesse verloren und fängt an, die Rückseite der Speisenkarte zu beschreiben.
    »Er schreibt auf allem «, flüsterte Helen. »Kuverts, alten Rechnungen, es ist fantastisch.«
    »Ich habe früher selbst geschrieben«, gesteht Cassidy, »allerdings nur Werbetexte.«
    »Dann wissen Sie, wie es ist«, sagt Helen. »Sie sind hinabgestiegen in die Hölle.«
    Sie schauen ihm zu, wie er gesenkten Kopfes weiter auf die Speisenkarte schreibt.
     
    »Wie lange braucht er, bis er ein Buch fertig hat?« fragt Cassidy, der ihm noch immer zuschaut.
    »Ach Gott, Jahre … mit Moon war es natürlich etwas anderes, weil es sein erstes war. Er hat es praktisch in vier Monaten heruntergeschrieben. Jetzt schreibt er … verantwortungsbewußt. Er verlangt mehr von sich. Er weiß, was er sich schuldig ist, um … seinen Erfolg zu rechtfertigen. Daher dauert es natürlich länger.«
    »Moon?« wiederholte Cassidy verwirrt, und da war’s geschehen.
     
    Ehe sie zu Cassidys Ketzerei Stellung nahm, warf Helen einen ängstlichen Blick über den Tisch hinweg, um sicherzugehen, daß Shamus noch immer mit der Speisenkarte beschäftigt war. Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern:
    »Wollen Sie sagen, daß Sie es nicht wußten? «
    »Was nicht wußte?«
    » The Moon By Day . Das war Shamus’ erster Roman. Shamus ist der Autor .«
    »Großer Gott.«
    »Warum?«
    »Aber das war ein Film . Ich erinnere mich daran!« Cassidy war sehr aufgeregt. »Ein Film!« wiederholte er. »Über die Universitätszeit und wie wir in der Blüte unseres Lebens stehen und was für eine Schande es ist, daß wir ins Geschäftsleben eintreten müssen … und von diesem Studenten und seiner Liebe zu diesem Mädchen, das alle seine Träume verkörperte, und –.«
    Helen wartete, ihr feierlicher Blick spiegelte Stolz und Erleichterung zugleich.
    »Ich war seine große Liebe«, sagte sie. »Ich war das Mädchen.«
    »Großer Gott«, wiederholte Cassidy mit wachsender Heiterkeit. »Er kann wahrhaftig schreiben! Großer Gott! Und es war auch er?«
    Er starrte Shamus an, studierte sein Profil im Kerzenlicht und verfolgte mit neuer Ehrfurcht, wie der Stift des Meisters behend über die Speisenkarte eilte.
    »Großer Gott«, sagte er noch einmal. »Wie großartig.«
    Die Enthüllung bedeutete für Cassidy sehr viel. Wenn

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