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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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bis jetzt auch nur der Hauch eines Vorbehalts gegenüber seinem neuen Freund sein Gemüt überschattet hatte, so wegen dieses Mangels an Referenzen; denn obgleich Cassidy durchaus kein Snob war, fühlte er sich schon seit Jahren nicht mehr recht wohl in Gesellschaft der Erfolglosen. Und ohne Zyniker zu sein, hatte er sich nie ganz des Vorurteils entledigen können, wonach der Verzicht auf das Eigentum nur von denjenigen praktiziert wurde, die auf nichts zu verzichten hatten. Als er daher mit einem einzigen Schlage erfuhr, daß Shamus nicht nur ein alltäglicher Name war – der Titel war während Cassidys letztem Jahr in Oxford sehr populär gewesen, und er entsann sich sogar des nagenden Neidgefühls gegenüber einem Gleichaltrigen, der sich so früh einen Namen gemacht hatte – und daß hinter seinem exzentrischen Wesen eine solide Leistung stand, bereitete dies Cassidy eine große und erlesene Freude, die er unverzüglich Helen mitteilen mußte:
    »Aber wir alle haben ihn gekannt! Er war brillant, das sagte jeder. Ich erinnere mich, daß mein Lehrer geradezu von ihm schwärmte …«
    »Ja«, sagte Helen, »das taten alle.«
    An dieser Stelle fiel Cassidy ein, daß er vor nunmehr achtzehn Jahren Oxford verlassen hatte.
    »Was hat er seitdem gemacht?«
    »Ach, das Übliche. Drehbücher, Fernsehen … einmal sogar ein gräßliches Festspiel. Für Abingdon, bitte sehr.«
    »Romane?«
    »Die Ganeffs von Verlegern wollten, daß er immer wieder Moon schreibe«, sagte sie. » Son of Moon , Moon at Easter , Moon Rides Out … Das wollte er natürlich nicht. Er wollte sich nicht wiederholen .«
    »Nein«, sagte Cassidy unsicher.
    »Er will einfach nicht gewöhnlich sein, er weigert sich um jeden Preis . Er besitzt diese Art von Unbestechlichkeit. Tugend«, fügte sie hinzu, und Cassidy wußte irgendwie, daß Tugend, das Wort und der Begriff, einen Teil ihrer tiefen Gemeinsamkeit bildete.
    »Davon bin ich überzeugt«, sagte er bewundernd.
    »Und so hat er schließlich reinen Tisch gemacht.« Mit einer Gebärde der Heiterkeit öffnete Helen beide Hände, demonstrierte die auf der Hand liegende Lösung. »Einfach ausgerissen. Wie Gauguin, nur daß ich natürlich mit ihm ging. Das war … vor drei Jahren.«
    »Aber was, um Gottes willen, taten die Verleger und die Leute, die Ganeffs … haben sie ihn nicht zurückgeholt?«
    Helen erledigte die Frage kurz und bündig.
    »Ach, ich sagte ihnen, er sei tot«, sagte sie leichthin.
     
    Es war in Ordnung, daß Cassidy zahlte; Mäzenatentum nahm einen breiten Raum in seiner aufstrebenden Seele ein, es bot seinem Wohlstand Schutz und Rechtfertigung und zum anderen die Genugtuung eines öffentlich dargebrachten Opfers.
    Nachdem er mit der eingefleischten Geste der Reichen – die darin besteht, daß man einen imaginären Stift über einen imaginären Schreibblock führt – zu verstehen gegeben hatte, daß er bezahlen wolle, förderte er diskret sein Scheckheft aus einer Innentasche zutage und wartete in leicht geduckter Haltung, um sich sogleich auf die Rechnung zu stürzen und die Endsumme zu verbergen, ehe Shamus (falls er sich als eine solche Art von Gast erweisen sollte) Einspruch erheben könnte.
    »Gott, ich beneide ihn«, sagte er, ließ jedoch den Kellner nicht aus den Augen.
    »Anfangs braucht es natürlich Mut«, sagte Helen. »Das Freisein. Aber Mut hat er. Und mit der Zeit … stellt man fest, daß man eigentlich kein Geld nötig hat, daß niemand Geld nötig hat. Es ist ganz einfach nur ein Trick.«
    Cassidy, noch immer wartend, schüttelte den Kopf über seine eigene Lächerlichkeit.
    »Was hat es mir je eingebracht?« fragte er.
    »Wir haben sogar unsere Wohnung in Dulwich aufgegeben.«
    »Was?« sagte Cassidy scharf. »Das alles, um frei zu sein?«
    »Wird wohl so sein«, gab Helen ein wenig zögernd zu. »Aber natürlich werden wir’s wieder dicke haben, sobald das neue Buch erscheint. Es ist fabelhaft, wirklich fabelhaft.«
    Die Rechnung kam, und Cassidy bezahlte sie. Shamus, der weit davon entfernt war, Cassidy die Rolle des Gastgebers streitig zu machen, schien den Vorgang nicht einmal bemerkt zu haben. Er schrieb noch immer emsig auf der Speisenkarte. Sie saßen da und beobachteten ihn, diskret, um den Gedankenflug nicht zu stören.
    »Es handelt wahrscheinlich von Schiller«, sagte Helen in leisem beiseite .
    »Von wem?«
    Während sie geduldig wartete, daß die Inspiration von ihrem Ehemann ablassen möge, erklärte Helen es ihm.
    Shamus habe eine Theorie

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