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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Dinge, wenn er es nur benutzen wollte«, fügte sie schläfrig hinzu und war alsbald entschlummert.
     
    Die beiden Männer saßen auf der Bank gegenüber, reichten einander die Flasche zu und betrachteten Helen im Lichte ihrer jeweiligen Erfahrung. Sie lag auf der Seite, in einer ebenso klassischen wie zwanglosen Pose, die Knie angezogen und übereinander, Goyas Maja, nackt und völlig bekleidet.
    »Das schönste Weib, das ich je gesehen habe«, sagte Cassidy.
    »Sie ist blau«, sagte Shamus. »Stockbesoffen.«
    » Shamus sagt«, sagte Helen schlaftrunken, »ich würde auf den Strich gehen, wenn er mich jemals von der Leine ließe.«
    »Ach Gott«, sagte Cassidy, als wäre das ein höchst oberflächliches Urteil.
    »Das würde ich nie tun, oder, Cassidy?«
    »Niemals.«
    »Doch«, sagte Helen und drehte sich um. »Außerdem schlägt er mich, nicht wahr, Shamus? Ich wünsche mir so sehr einen liebevollen Mann«, sagte sie nachdenklich zu den Polstern gewandt. »Wie Cassidy oder Mr. Heath.«
    »Wissen Sie«, sagte Cassidy, der noch immer in die Betrachtung ihres langen Körpers versunken war. »Es ist mir egal, ob Sie die Besitzer von Haverdown sind oder nicht. Dieses Haus wird in Ewigkeit Ihnen gehören.«
    »Die Ewigkeit ist jetzt«, sagte Shamus und genehmigte sich noch einen Whisky.
    »Shamus«, begann Cassidy, da Träume und Gesichte ihn bedrängten.
    »Was ist, Lover?«
    »Nichts«, sagte Cassidy, denn die Liebe hat keine Worte.
     
    Auf dem Bahnhof von Bath, wo die frische Luft Cassidy daran gemahnte, daß er ziemlich viel puren Whisky getrunken hatte, erlitt Shamus einen jener jähen Stimmungsumschwünge, die ihn in Haverdown so schwer erträglich gemacht hatten. Sie standen auf dem Bahnsteig, und Helen blickte auf einen Stapel Postsäcke und weinte still in Cassidys Taschentuch.
    »Was ist denn los?« fragte Cassidy eindringlich und keineswegs zum erstenmal. »Sie müssen es uns sagen, Helen, nicht wahr, Shamus?«
    »Sie wurden von Sträflingen genäht«, rief sie schließlich und begann von neuem zu weinen.
    »Verfickt noch mal«, schrie Shamus wütend und wirbelte zu Cassidy herum. »Und Sie: Hören Sie auf, Ihre Finger um die Manschette zu zwirbeln. Christopher Robin ist tot, oder? Hast du gehört, Helen? Tot .«
    »Entschuldigung«, sagte Cassidy, und der Zwischenfall war vergessen.
     
    Die Mahlzeiten waren in Cassidys Welt eine geheiligte Sache. Sie waren eine Art Waffenstillstand zugunsten der Geselligkeit oder Stille, Schonzeit, während der weder Leidenschaften noch Feindseligkeiten die fromme Speisung stören durften.
    Sie aßen in dem an einem Abhang gelegenen Lokal namens Bruno’s , weil Shamus in italienischer Stimmung war und nicht englisch sprechen wollte, und weil Abhänge (wie Helen erklärte) Spannung besitzen, eine Ansicht, die Cassidy äußerst tiefschürfend fand. Bath stinkt, sagte Shamus, Bath ist die lausigste Stadt der Welt. Bath ist eine Spielzeugstadt, ein Mittelding zwischen Vatikan und dem Wind in the Willows , von Beatrix Potter für Proleten vom Lande gemalt.
    »Shamus ist im Grunde schrecklich unschuldig«, erklärte ihm Helen. »Natürlich ist jeder, der die ganze Zeit nach der Liebe Ausschau hält, schrecklich unschuldig, finden Sie nicht auch?«
    Erstaunt über die Tiefe, ganz zu schweigen von der Feinsinnigkeit dieser Bemerkung, fand Cassidy es auch.
    »Talmi ist ihm verhaßt. Mehr als alles in der Welt.«
    »Genau das ist mir auch verhaßt«, sagte Cassidy mannhaft, blickte zum soundso vielten Mal auf die Uhr und dachte: Ich muß Sandra bald anrufen, sonst macht sie sich Gedanken.
    Bei Bruno’s spielten sie ebenfalls eines von Shamus’ Spielen, genannt Hosenknopf , das er speziell zu dem Zweck erfunden hatte, Proleten vom Lande zu verwirren und Talmi zu entlarven. Shamus wählte das Opfer, sobald es eintrat. Er suchte zumeist die jüngeren Managertypen aus, die er sogleich in bestimmte willkürliche Kategorien einordnete: Gerrards Crossers, Bischöfe, Verleger und, als Herausforderung an Cassidy, Kinderwagenfabrikanten. Letztere, sagte er, bildeten den Großteil der viel zu vielen, diese Kompromißler, für die Freiheit ein Schreckgespenst sei; sie seien der Bühnenhintergrund für das reale Trauerspiel des Lebens. Das Spiel sollte die Uniformität ihrer Reaktionen demonstrieren. Sobald Shamus das Stichwort gab, mußten sie alle drei auf den Hosenstall des Proleten starren, Shamus beharrlich, Helen mit liderflatternder Verschämtheit und Cassidy mit einer gekonnten

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