Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
Bereich des Kindertransports die Rede war. Der Himmel weiß, daß er ihr nichts erspart hatte. Von der hydraulischen Kupplung und dem Dualbremssystem sprang er in einem Atemzug auf die Feinheiten eines doppelt verlaschten Schubstabes und der regulierbaren Federung über. Helen hielt sich tadellos. Er sah an der Unverwandtheit der dunklen Augen, daß sie jedes Wort in sich aufnahm; nichts, nicht einmal das Kardan-Gelenk trübte ihr gegenseitiges lückenloses Verständnis. Er fertigte Zeichnungen für sie an, skizzierte auf Papierservietten, bis die Theke wie ein Reißbrett aussah: Ernst nippte sie an ihrem Glas, und ernst nickte sie ihre Billigung.
    »Ja«, sagte sie, »Sie haben an alles gedacht.«
    Oder: »Und wie hat die Konkurrenz reagiert?«
    »Oh. Die Japse haben versucht, uns zu kopieren, wie üblich.«
    »Aber sie konnten’s nicht«, sagte Helen, und es war keine Frage, sondern eine positive Feststellung, daran gab es nichts zu rütteln.
    »Bedauere«, erwiderte Cassidy verbindlich, und er zog den Geist der Wahrheit der Wahrheit selber vor. »Sie setzten ihre besten Leute darauf an. Kompletter Fehlschlag.«
    »Und wie reagierten Sie darauf?«
    »Ich?«
    »Der plötzliche Reichtum, die Berühmtheit, die Anerkennung Ihrer Fähigkeiten … ist es Ihnen nicht ein bißchen zu Kopf gestiegen, Cassidy?«
    Cassidy war dieser Frage häufig begegnet, und er hatte sie seinerzeit auf die verschiedensten Arten beantwortet, je nach seiner Stimmung und den Erfordernissen des Publikums. Manchmal, grundsätzlich immer, wenn seine Frau in Hörweite war, behauptete er, er sei immun, ein natürliches Wertegefühl sei ein zu starkes Gegengewicht zu rein materialistischen Versuchungen, die Tätigkeit des Geldverdienens habe ihm zugleich dessen Flüchtigkeit aufgezeigt, es pralle an ihm ab. Bei anderen Gelegenheiten gestand er – guten männlichen Bekannten gegenüber oder Fremden in einem Zugabteil – eine tiefe und tragische Veränderung ein, einen erschreckend abnehmenden Appetit auf das Leben.
    »Nichts mehr macht richtig Spaß «, sagte er dann. »Geld haben verdirbt die Freude am Erreichten.«
    Und gelegentlich, in Augenblicken großen Weltschmerzes, verleugnete er sein Geld kurzerhand. Das britische Besteuerungssystem sei Straßenraub; kein ehrlicher Mensch könne mehr als einen Bruchteil dessen behalten, was er verdiente, wer es dennoch tue, sei ein Betrüger, es müsse schärfer kontrolliert werden. Doch aus Helens Mund war die Frage neu und wesentlich für ihre Beziehung. Daher zuckte er nach blitzschneller Erwägung mehrerer Alternativen nur leicht die Achseln und sagte in einem Augenblick der schönsten Inspiration: »Ein Mann wird nach dem beurteilt, wonach er sucht, Helen, nicht nach dem, was er findet.«
    »Himmel«, sagte Helen leise.
    Lange Zeit blickte sie ihn mit einem Ausdruck größter Intensität an. Cassidy hatte tatsächlich Schwierigkeiten, diesem Blick standzuhalten; seine Augen schweiften ab oder schlossen sich vor dem Rauch ihrer Zigarette. Bis sie einen Schluck Whisky nahm und den Zauber brach.
    »Egal«, sagte sie, und es hörte sich an, als überspränge sie geflissentlich die Antwort auf einen unausgesprochenen Vorschlag. »Wie hat Ihre Frau es aufgenommen?«
    Auch dieser Frage hatte er sich schon mehr als einmal gegenübergesehen. Wo kauft sie jetzt ein? Haben Sie ihr einen Pelzmantel geschenkt? Und wieder fand er die Antwort äußerst schwierig. Du mußt sie loswerden, war sein erster Gedanke. Ich bin geschieden; ich bin Witwer. Meine Frau starb eines langwierigen und tragischen Todes; sie ist vor kurzem mit einem berühmten Pianisten durchgebrannt. Das Auftauchen Shamus’ ersparte ihm gnädig die Entscheidung.
     
    Es war nun einige Zeit her, seit Shamus ihnen zuletzt seine Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Bereits beim Abendessen war sein erstes überschwengliches Interesse an Cassidy einem mehr allgemeinen Interesse an seinem Mitmenschen gewichen, und Helen hatte erklärt, da er in der Regel sehr wenig ausgehe, wenn er an einer Arbeit sei, müsse er möglichst viel Erleben in eine sehr kurze Zeitspanne pressen.
    »Das kommt davon, wenn man Künstler ist«, sagte sie. »Er muß schrecklich intensiv leben, alles andere bedeutet Stillstand.«
    »Was hoffnungslos wäre«, pflichtete Cassidy bei.
    Was immer Shamus inzwischen getan haben mochte, er hatte nicht still gestanden. Er brachte ein Mädchen mit, und sein Arm umfaßte ihre Taille, genau gesagt, ihre obere Taille, seine Hand rundete sich

Weitere Kostenlose Bücher