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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Anruf nicht der Mühe wert.«
    »Gute Nacht, ich habe Ihnen zu danken«, sagte Shamus, nahm ihm den Hörer weg und sprach mit seinem italienischen Akzent hinein. »Allo, allo, allo?«
    Cassidy schnappte sich den Hörer wieder, aber die Leitung war tot. Er legte ihn auf die Gabel zurück.
     
    »Hallo, Shamus«, sagte er schließlich und lächelte. »Noch ein Bier?«
    Sie waren immer noch im Hinterzimmer. Von allen Seiten hörte man den Lärm der Zecher, doch das Hinterzimmer war ruhig; auf dem moltonbezogenen Tisch befanden sich eine Rechenmaschine und ein Stapel Großpackungen mit Süßigkeiten.
    »War das die Leitkuh?«
    »Die was? «
    »Ihre Frau. Leitkuh. Königin der Herde.«
    »Oh, verstehe. War nur ein Kontrollanruf«, sagte Cassidy. »Kann sie schließlich nicht mit dem Untermieter losziehen lassen, was?«
    Der Lärm im Lokal wurde plötzlich betäubend, aber keiner von ihnen hob die Stimme.
    »Was ist los?«
    Der Beo glotzte Cassidy ebenfalls an. Sein Gefieder hob sich kaum von Shamus’ schwarzem Jackett ab, aber die Augen glänzten wie Jett.
    »Mein kleiner Junge«, sagte Cassidy. »Hugo. Brach sich beim Skifahren ein Bein. Der Knochen will anscheinend nicht heilen.«
    »Armer kleiner Kerl«, sagte Shamus, ohne sich vom Fleck zu rühren.
    »Nun, er ist bei einem Spezialisten in Behandlung.«
    »Ist es bestimmt nicht Ihr Bein?« fragte Shamus.
    In der Bar spielte jemand Klavier, ließ eine Melodie in einem Zug herunterrauschen.
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Nachdenken, Lover, dann werden Sie’s verstehen.«
    »Was ich noch sagen wollte«, sagte Cassidy leichthin und versuchte, sich in Bewegung zu setzen. »Ich habe ein Haus in der Schweiz, ein Chalet. Ganz bescheiden, aber erstaunlich bequem für zwei Personen. Der Ort heißt Sainte-Angèle. Es steht fast das ganze Jahr leer. Wenn Sie spannungsreiche Hänge lieben, so könnten Sie’s einmal damit versuchen.«
    Kein Lachen.
    »Ich meine nur, wenn Sie je einen Ort zum Arbeiten brauchen, einmal von allem weg sein, würde ich es Ihnen liebend gern zur Verfügung stellen, gratis. Nehmen Sie Helen mit.«
    »Oder einen Ersatz«, schlug Shamus vor. »Lover.«
    »Ja?«
    »Eigentlich müßten Sie böse auf mich sein. Weil ich in dieses Telefongespräch hineingeplatzt bin und es versaut habe. Das war sehr unverschämt.«
    »Böse sein?«
    »Sie hätten mir eine runterhauen müssen, Lover. Disziplin muß sein. Ich glaube daran. Dazu ist die Scheißbourgeoisie da: um unverschämten Hundsföttern wie mir das Handwerk zu legen.«
    Cassidy lachte unbeholfen. »Sie sind uns über«, sagte er. Er grabschte in seiner Tasche nach Kleingeld und strebte zur Tür.
    »He, Lover.«
    »Ja.«
    »Schon mal einen umgebracht?«
    »Nein.«
    »Nicht einmal im psychischen Sinn?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Cassidy.
    »Wetten, daß die Leitkuh es wüßte«, sagte Shamus. »He, Lover.«
    »Bitte?« Gereizt, wie es einem müden Mann mit einem verkrüppelten Sohn zusteht.
    Shamus breitete die Arme aus. »Sei lieb zu uns, Lover. Ich verhungere .«
    »Ich muß das Gespräch bezahlen«, sagte Cassidy.
    Shamus blieb mit ausgestreckten Armen unter der Tür stehen und starrte Cassidy an, der an der Theke seine Rechnung beglich; bis er schließlich, ohne auf die versprochene Umarmung zu warten, kehrtmachte und sich dem gemeinen Haufen entgegenwarf.
    »Aufgepaßt, ihr lausigen schäbigen stinkigen Bauernfünfer«, brüllte er, »knöpft eure groben Kittel zu, Butch Cassidy ist im Land!«
    »Sperrstunde«, sagte der Wirt hastig, »und zwar endgültig.«
     
    Nach der Kneipe das Taxi. Oh, Gott, das Taxi.
    Sie hatten den letzten Zug aus Bristol verpaßt, und Shamus bestellte mit seinem italienischen Akzent ein Funktaxi, während sie sich alle drei in die Telefonzelle quetschten. Shamus saß vorn, so daß er mit dem Fahrer sprechen konnte, einem alten Mann, der es ziemlich aufregend fand, betrunkenen Landadel zu befördern. Bald schon ist Shamus’ schöpferische Fantasie durch die Funksprechanlage angeregt.
    »Hört sie euch an«, drängt er und dreht lauter.
    Alle lauschten gespannt.
    »Peter Eins kommen … Zentrale … Peter Zwo … Gruppe von vier Personen am Bahnhof, kein Gepäck, drei können auf den Rücksitz. Fahrgäste warten auf Peter Drei. Peter Eins, bitte kommen, Zentrale …«
    Für Cassidy klingt sie so kuhdumm und unbeholfen und schrill und hölzern wie alle Ansagerinnen, doch Shamus ist hingerissen.
    »Ist sie vielleicht Ihre Tochter?« fragt er den Fahrer

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