Wachsam
gemütlichen Körpers. Sandra sagte, die Scheidung habe ihr das Herz gebrochen, sie weine viel und leide an Ausbrüchen großen Unmuts, besonders gegen Männer, doch Cassidy konnte in ihrer Gesellschaft keine derartigen Anzeichen erblicken.
»Schau«, sagte Heather, »Reiher.«
»Reiher gefallen mir«, sagte Hugo. »Dir nicht, Daddy?«
»Doch, sehr«, sagte Cassidy.
Heather lächelte, und wiederum zog das Sonnenlicht eine goldene flaumige Linie an ihren Wangenknochen entlang.
»Sie sind so gut , Aldo«, sagte sie. »Nicht wahr, Hugo?«
»Er ist der beste Daddy auf der Welt«, pflichtete Hugo bei.
»Sie tun soviel für andere. Wenn wir nur auch etwas für Sie tun könnten.«
»Ich möchte Menschen glücklich machen«, sagte Cassidy. »Nur darum geht’s mir.«
Aus einer Telefonzelle in Sichtweite der Gibbons fragte er bei der Vermittlung an. Nichts, hieß es. Nichts außer Geschäftlichem. »Sie haben die Anweisungen?«
»Ja, Mister Aldo, wir alle haben sie.«
»Die Exportkampagne«, erklärte er Heather, als er aus der Kabine auftauchte. »Wir erwarten eine wichtige Sendung.«
»Sie arbeiten so hart«, sagte Heather, deren Lächeln so offen strahlte wie die Sonne.
Und noch immer wartend fuhr er nach Sherborne, wo Old Hugo ihm Schliff und Bildung gekauft hatte.
Saß in der Klosterkirche unter den kugelzerfetzten Fahnen einstiger Landesregimenter und las die Namen der großen Schlachten, Alma, Ägypten, Sewastopol und Plassey, und liebte leidenschaftlich das Erbe, das nie sein gewesen war.
Und saß dort und betete.
Lieber Gott, hier spricht Aldo Cassidy, der zum letzten Mal als Fünfzehnjähriger unter diesen gleichen Fahnen zu Dir gebetet hat. Damals war ich ein Schuljunge und nicht glücklich. Es war anläßlich des Heldengedenktages; meine Wangen waren, dies sei erwähnt, benetzt von Liebe, als das Letzte Signal erklang, und ich bat Dich ausdrücklich um einen raschen nützlichen Tod im Kampf gegen eine erdrückende Übermacht. Heute möchte ich meine Bitte revidieren. Ich wünsche mir nicht mehr den Tod; ich wünsche mir das Leben, und nur Du, o Herr, kannst es geben. Bitte, laß mich nicht zu lange warten, Amen .
Und besuchte ein Rugbymatch auf dem Sportplatz und jubelte seiner alten Schule zu, dachte an Sandra und fragte sich, ob er gegen sie gesündigt habe, fürchtete die Antwort Ja. Dann, als er zerstreut in der Heimmannschaft nach der Art von Jungen suchte, der er selber gewesen sein könnte, traf er Mrs. Harabee, ein Mitglied der kleinen weiblichen Armee, die versucht hatte, ihn in Musik zu unterweisen.
»Na so was, das ist doch unser Dubiosus«, rief Mrs. Harabee, eine kleine braune Dame mit kurzem Haar und Baskenmütze. »Mit einer Rose im Knopfloch! Dubiosus, wie in aller Welt geht es Ihnen?«
Dubiosus, weil er in der Musik ein dubioser Kantonist gewesen und es auch geblieben war, bis sie alle Hoffnung aufgegeben hatte. Dubiosus, weil Old Hugo ihnen einen Handel wegen des Schulgeldes vorgeschlagen und beim Schatzmeister Anstoß erregt hatte. Der Handel hatte in einer zweiten Hypothek auf ein zweitklassiges Hotel in Henley bestanden, doch der Schatzmeister war kein Freund solcher Machenschaften. Dubiosus, weil …
»Hallo, Mrs. Harabee«, sagte Cassidy. »Wie geht es Ihnen? «
Schon mal von Flaherty gehört , Mrs . Harabee?
Und er entsann sich wieder, daß sie auch Mutterstelle an ihm vertreten, ihn im Schlafzimmer eines Ziegelbaus an der Yeovil Road beherbergt hatte, zu einer Zeit, als er mit Old Hugo in tödlicher Fehde gelegen hatte.
»Wie ist es Ihnen ergangen im Leben?« fragte sie, als begegneten sie einander im Himmel.
»Nicht allzu schlecht, Mrs. Harabee. Zuerst war ich in der Werbung tätig, dann habe ich Erfindungen gemacht und eine Firma gegründet.«
»Bravo«, sagte Mrs. Harabee in einem Ton, in dem sie eine leichte Musikübung lobte. »Und was ist aus Ihrem sauberen Herrn Vater geworden?«
»Gestorben«, sagte Cassidy, weil er fand, es sei leichter, Old Hugo zu töten als ihr zu erklären. »Kam ins Gefängnis und ist gestorben.«
»Das arme Schaf«, sagte Mrs. Harabee. »Ich hatte immer eine sehr große Schwäche für ihn.«
Langsam wanderten sie den Weg entlang, mitten im Strom schiefsitzender Strohhüte.
»Sie können zum Tee kommen, wenn Sie wollen«, sagte Mrs. Harabee.
Aber Cassidy wußte, daß er zu alt für sie war.
»Ich muß leider wieder zurück«, sagte er. »Wir haben eine große Sache mit Amerika laufen. Ich muß mich ans Telefon
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