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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Gewissenhaftigkeit ausübte, jedoch bekanntermaßen ausgedehnte Studien auf psychischem Gebiet anstellte. Vor ein paar Jahren hatte er einen Aufsatz mit dem Titel Positive Ehescheidung geschrieben, und die losen Seiten lagen noch immer massenhaft in jedem avantgardistischen Wartezimmer aus. Seitdem wurden die Eldermans in Abalone Crescent häufig zu Rate gezogen, nicht nur von den Cassidys, und sie genossen einen weitverbreiteten Ruf auf dem Gebiet der Eheberatung und in allem, was mit Liebe zu tun hat. Ihr Prinzip war, soweit Cassidy dies herausgebracht hatte, Selbstäußerung zu fördern im Interesse der Selbstdisziplin; niemand, so behaupteten sie immer wieder, sei gezwungen , unglücklich zu sein; die Liebe sei ein Geschenk und entspringe aus Blumen und Fels.
    Das Unergründliche dieses Ratschlags wurde noch vertieft durch die Person Mrs. Eldermans, einer sehr stattlichen Dame, die braune Rupfenkleider trug und einen verstrubbelten, nach Rudolf Steinerschen Richtlinien angelegten Garten besaß. Ihr Haar war größtenteils grau und von ähnlichem Wachstum. Es war mehr halbiert als gescheitelt, und die beiden Seitenstränge mit Bast abgeschnürt, so daß sie aussahen wie zwei riesige Eieruhren aus Stahlwolle. Cassidy haßte sie so sehr, daß er dauernd ihren Vornamen vergaß.
    Noch ehe sie dort angekommen waren, hatte der Abend für Cassidy alptraumartige Dimensionen angenommen. Er war, auf dem Umweg über Audley Arms und nach einer langen und sehr ermüdenden Sitzung seiner Export Ginger Group , spät nach Hause gekommen, und Sandra hatte ihn bezichtigt, er rieche nach Alkohol.
    »Wie viele hast du getrunken?«
    »Einen. Aber es war Methylalkohol.«
    »Wie kannst du nur so ordinär sein?«
    »Trink doch auch einen. Jede Menge im Besenschrank.«
    »Du bist wohl nicht in der Lage, nicht wahr, mir zu sagen, was, in aller Welt , dich so bösartig macht?«
    »Der Frühling«, sagte Cassidy, der sich die Zähne putzte. Aus dem großen Wohnzimmer kam jähes Knattern einer Maschinengewehrsalve. »Was, zum Teufel, ist das?«
    »Was?«
    »Das Hämmern. Wer, zum Teufel, ist am Tor?« Er wußte ganz genau, was es war.
    »Die Handwerker bringen einen Sims an, einen Sims aus dem achtzehnten Jahrhundert, den Heather und ich vor zwei Monaten in einem Abbruchgeschäft für zehn Shilling gekauft haben. Ich habe es dir schon fünfzigmal erzählt; nun ja.«
    »Zehn Batzen!« Er benutzte seine jüdische Lumpensammlerstimme. »Zehn Batzen für’n Sims, na schön. Zehn Batzen kann ich mir leisten. Aber Gott der Gerechte, wie ist’s mit’m Lohn? «
    »Möchtest du gefälligst ordentlich sprechen?«
    »Es ist acht Uhr abends, die Burschen kriegen ungefähr zwanzig Guineas pro Stunde!«
    Sandra zog es vor zu schweigen. Er fuhr, wiederum in seinem East-End-Jüdisch, fort:
    »Will mir jemand erzählen, was mir ein Sims aus dem achtzehnten Jahrhundert soll in einem Haus aus dem neunzehnten? Jeder außer uns weiß, daß das hier viktorianisch ist, frag nur ’nen Rabbi.«
    Noch immer zog sie es vor zu schweigen.
    »Herrgott noch mal«, fragte Cassidy in den Badezimmerspiegel, worin Sandra wie eine weibliche Schildwache vor der Tür von Downing Street bolzengerade und regungslos stand.
    »Herrgott«, wiederholte er mit einem irischen Akzent, den er seit Tagen einübte, »ich versteh’ nicht, warum, zum Teufel, wir nicht zur Abwechslung im zwanzigsten Jahrhundert leben können.«
    »Weil das nichts für kleine Jungens ist«, schnappte sie bissig zurück, und Cassidy erkannte ihr insgeheim Sieg und Spiel zu. »Und es ist keine Post gekommen«, fügte sie boshaft hinzu, »falls es das ist, was dir zu schaffen macht.«
    Cassidy trug beflissen noch mehr Schaum auf und gab keine Antwort.
    »Übrigens, warum ist Hugo nicht im Bett?« fragte er und kannte die Antwort.
    »Er ist eingeladen.«
    »Bei wem?«
    »Bei den Eldermans. Wie wir auch. Wie du weißt. Falls es überhaupt noch sinnvoll ist, hinzugehen«, fügte sie hinzu und schaute auf ihre Uhr.
    Die Eldermans hatten Scharen von Kindern und aßen früh zu Abend, damit ihre Gäste noch in den Genuß der lieben Kleinen kommen konnten.
    » Verdammt albern. Abendessen für einen Siebenjährigen! Ihn unnötigen Gefahren aussetzen : Genau das ist es. Ein Arzt, hat man noch Worte. Ein voll ausgewachsener, vollbezahlter Medikus, wenn er auch aus Gerrards Cross kommt. Und wenn Hugo hinfällt? Und wenn er sich die Zehe prellt? Und wenn er gestoßen wird? Hugo haßt diese Kinder, das weißt du genau. Und

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