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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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lassen, vielleicht war er tot, wir haben es nie erfahren.
     
    Oder vielleicht, überlegte Cassidy, während er die Drucke mit verunstalteten Rennpferden anstarrte, hatte er überhaupt nie existiert, außer in den traurigen imaginären Häusern ihrer Kindheit.
     
    Auch A. L. Rowse tauchte nicht auf. Er war in Amerika auf einer Vorlesungstournee. Er schickte kein Geschenk, aber Daddy (der die Einladung abgefangen hatte) erklärte, sie kennten einander viel zu gut für derart alberne Formalitäten. Brautjungfer war dein Tantchen Snaps, Mummys Schwester, fünfzehn Jahre alt und viel älter wirkend in ihrem weitausgeschnittenen roten Samtkleid, und Tantchen Snaps schmollte während der ganzen Feier. Ein paar Wochen später, als sie wieder in ihrem Internat war, schenkte sie ihre Jungfernschaft einem Tagelöhner im Gartenschuppen. » Du tust es doch auch«, sagte sie zu Mummy, »warum, zum Teufel, sollte ich es nicht tun?«
    Die kirchliche Zeremonie erinnerte Daddy an seine Konfirmation: ein furchterregender Vertrag mit jemandem, den er nicht kannte. Und als die Melodie des Hochzeitsmarsches ihn hinaus ins Tageslicht schwemmte, konnte er sich des Wunsches nicht erwehren, er hätte nicht ganz so sehr Jean Gabin nachgeeifert.
    Aber Mark, sag mir eins. Ist das Liebe? Schließlich bist du unschuldig, du solltest es wissen. Mag ja sein, daß mehr nicht dahinter ist; das beste, was die Welt zu bieten hat, und der ganze Rest ist Warten, wie Daddy jetzt warten muß.
     
    Gute Nacht, Mrs. Harabee.
    Gute Nacht, Flaherty.
    Gute Nacht, Sandra.
    Liebe, gute Nacht.

12
    So unglaublich es war, auch nach seiner Rückkehr nach London wartete er noch immer.
    »Sie haben ein geradezu umwerfendes Horoskop«, sagte Miß Mawdray.
    Brüste wie Täubchen, dachte er, als er sie in seinem müßigen Sinn lüstern betrachtete, kleine Schnäbelchen, die an der Angorawolle picken. Knabenbeine, Hurenhüften, Haxen und Hüften, Gott weiß, was sie da oben tragen mag. Kein Weiß oder Schwarz, um die Stelle zu bezeichnen; nur den undeutlichen braunen Nebel einer vergilbten Fotografie, ein Vaginalphantom, das erst noch festzuhalten ist … Ha! Sieh nur, wie sie die Schenkel schließt, um das unsichtbare Glied zu umfangen!
    »Ich hab’ ein neues Buch«, erklärte Angie, womit sie ein Romanheft meinte.
    Er stand an dem vertrauten Fenster. Sein Schreibtisch widerte ihn an, dieses Symbol des Sitzengelassenseins. Miß Mawdray, die keine derartigen Hemmungen hatte, balancierte geschickt auf ihrem Babystühlchen.
    »Ein bißchen Glück könnte ich gebrauchen«, gestand Cassidy.
    Sie fing an, ihm eine lange Prophezeiung vorzulesen; es muß eine halbe Seite gewesen sein. Er hörte es aus der Ferne, glaubte kein Wort. Sein Sternzeichen werde ausführlich behandelt, sagte sie: Sonderteil für Waagemenschen. Geschäftliche Erfolge würden ihm lächeln, versprach sie, Freundschaften würden blühen; immer mutig, feuerte sie ihn an, vorwärts, weiter, mit fliegenden Fahnen zum Angriff. Lassen Sie sich durch kein Hindernis aufhalten, durch keinen Aufenthalt behindern, durch kein Hemmnis hemmen: Eine ausgezeichnete Konstellation werde alle Initiativen fördern.
    » Alle? « wiederholte Cassidy, der Spaßvogel. »Na, dann muß ich ein paar neue ausprobieren.«
    »Und in der Liebe«, las sie, hielt den Kopf tief gesenkt und fuhr die Zeile mit dem Finger nach, während ihre Stimme ein wenig lauter wurde, »werden Venus und Aphrodite gemeinsam ihren kühnsten Abenteuern hold sein.«
    »Fein«, sagte Cassidy. »Sehr fein. Warum kommen diese Gardinen nicht zur Reinigung?« fragte er und zerrte an dem Gewebe.
    »Sie wurden vor kurzem gereinigt«, sagte Angie lebhaft. »Das wissen Sie ganz genau. Erst letzte Woche haben Sie sich beklagt, weil man sie abgenommen hatte.«
    Cassidy lag nichts an dieser Art Antwort.
    »Sagen Sie mal«, sagte er beiläufig und wandte ihr noch immer den Rücken, »was ist eigentlich aus Ihrem Verlobungsring geworden?«
    Er fragte ausschließlich, um ihren Gegenschlag herauszufordern. »Ihr Verlobungsring«, wiederholte er, drehte sich jetzt um und wies auf die paar zusätzlichen Millimeter nackter Haut. »Sie haben ihn doch nicht verloren , wie, Angie? Das wäre sehr schlimm.«
    »Ich trage ihn einfach heute nicht«, sagte sie kleinlaut, und obwohl sie wissen mußte, daß er sie noch immer anblickte, hob sie den Kopf nicht.
    »Entschuldigung«, sagte er, »ich wollte nicht aufdringlich sein.«
    Mit hängenden Ohren schlich er wieder ans Fenster.

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