Wachsam
ihre Mutter im Bett und gab ihm Tee anstatt Kaffee, was sie normalerweise für ordinär hielt. »Wegen John Eldermans Diagnose«, warf er hin, als sie ihn von hinten umfing.
»Ach, nimm es nicht ernst, ich war nur so schlecht gelaunt«, erwiderte sie leichthin und küßte ihn auf den Kopf.
»Und im übrigen hast du gut geschlafen?«
»Großartig, du auch?«
»Entschuldige wegen Paristown.«
»Paristown«, echote sie lächelnd. »Du bist doch ein Baby.« Weitere Küsse. »Es wird ein richtiger Kampf für dich werden, nicht wahr?«
»Ja, kann sein.«
»Sei nicht albern. Ich weiß es. Mir kannst du doch nichts vormachen.« Sie küßte ihn wieder. »Frauen lieben Kämpfer«, sagte sie. Aber Cassidy war noch nicht mit John Elderman fertig.
»Weißt du, Sandra, ich habe wirklich keinerlei Motive.«
»Ich weiß, ich weiß.«
Weitere Küsse. Cassidy stieß nach. »Ich meine, nicht einmal unbewußt. Ich meine, ich könnte alle diese Argumente so drehen, daß sie genau das Gegenteil bedeuten würden.«
»Natürlich könntest du das«, sagte sie. »John macht sich nur wichtig. Und du bist viel intelligenter als John, wie er ganz genau weiß. Nun ja!«
»Ich werde in die Enge getrieben, und ich wehre mich. Es hat nichts mit Andersrum-Sein zu tun.«
»Natürlich nicht, und es war reizend von dir, daß du ihm das ganze Geld geborgt hast«, fügte sie großmütig hinzu. »Ich verstehe nur eben manchmal deine Motive nicht. Und natürlich glaube ich an deine Fußballplätze. Nur, ich wünsche mir eben, diese widerlichen Leute würden ein einziges Mal ja sagen.«
»Aber Sandra, sie sind so korrupt .«
»Ich weiß, ich weiß.«
»Es dauert Jahre, bis man sie mürbe gemacht hat …«
Geschickt baute er seine Verteidigungslinie auf. Ich werde Tag und Nacht unterwegs sein … Die Botschaft schickt mir einen Wagen zum Flugplatz … In diesem Stadium ist alles möglich … ruf mich nicht an, laß mich dich anrufen, es geht auf Firmenkosten …
»Sollen sie einen Wagen schicken«, sagte sie. »Alle ihre Wagen. Eine ganze Wagenkolonne nur für Aldo.«
Als er das Haus verließ, kamen bereits die Putzfrauen angerückt, einige per Taxi, andere wurden von ihren Männern hergefahren. In der Halle bellten Hunde, das Telefon klingelte auf mehreren Stockwerken. Die Handwerker hatten bereits angefangen; der Maurer kochte Tee.
»Ich läute an, ob es sich machen läßt«, versprach er. »Dann steigst du ins nächste Flugzeug. Nicht ins übernächste, ins nächste.«
»Gute Reise, Pailthorpe«, sagte sie. »Lover.«
Als er sich von ihr abwandte, erblickte er ihre Mutter, die hinter ihr bereitstand wie ein greises Kindermädchen, bereit, sie aufzufangen, falls sie fiele. Er war nahe daran, umzukehren. Nahe daran, sie von einer Telefonzelle aus anzurufen. Nahe daran, sein Flugzeug zu verpassen. Doch Cassidy war sein ganzes Leben lang nahe an den Dingen daran gewesen, und dieses Mal wollte er sie, komme was da wolle, zu fassen kriegen.
In Paristown.
Paris
16
Liebesgeschichten, das hatte Cassidy schon immer gewußt, sind zeitlos und daher der historischen Abfolge entzogen. Sie spielen, wenn überhaupt, weit über den Zweigen unserer Alltagsbäume, im Halblicht der Wolken, zu denen Taggeschöpfe keinen Zugang haben; sie spielen in Augenblicken, in denen die Seele auf unergründliche Weise erhabener ist als alles, was sie umgibt, und was immer das Auge erblickt, bebildert eine innere Welt.
So war es mit Paris.
Haverdown war eine Nacht gewesen, die Pariser Messe (laut Verband der Kinderwagenfabrikanten, Cassidy war es nie gelungen, eine objektive Bestätigung zu bekommen) dauerte vier Tage. Und doch besaßen für Cassidy beide den gleichen zwingenden Rhythmus: das gleiche tastende Kennenlernen, die gleiche blind zurückgelegte Wanderung vom Vorhersehbaren zum Ungeahnten; eine Seelenwanderung zu den versteckten Winkeln seines Herzens; eine Körperwanderung zu den versteckten Winkeln einer Stadt. Jede war zunächst von dem instinktiven Gefühl des Scheiterns begleitet; jede war vom gleichen triumphalen Höhepunkt gekrönt; jede belehrte ihn und gab ihm Neues zu lernen.
Sie hatten sich in der Abflughalle bei Ausgang 2 verabredet. Die Viel-zu-vielen waren überall, doch Shamus hatte einen separaten Platz gefunden, eine Ecke, die für Rollstühle reserviert war. Es dauerte eine Weile, bis Cassidy ihn entdeckte und sofort in Panik geriet. Shamus kauerte gebückt in dem Stahlrahmen, wie von einem furchtbaren Leiden verkrümmt, und er trug
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