Wachstumsschmerz
zischt Angie entnervt.
»Das frage ich dich! Was ist deren Problem, dass sie spezielle Werbung brauchen?«
»Davon abgesehen, dass sie in Deutschland fast vollkommen ausgerottet sind?«
»Ja. Gerne davon abgesehen.«
Angie atmet dramatisch in den Hörer:
»Mach, was du willst, Luise. Diese Geschichte ist eine der ganz wenigen Anfragen, die ohne Casting und direkt an dich gerichtet sind.«
»Warum?«, unterbreche ich sie.
»Wie warum?«
»Warum wollen die mich?«
»Was weiß ich. Die haben halt bestimmte Vorstellungen, und du passt in deren Bild.«
»Was für ein Bild? Das einer jungen Frau, bisschen hip, bisschen nicht, die Braunbären irgendwie echt cool findet und echt enttäuscht darüber ist, dass die in Deutschland fast vollkommen ausgerottet sind und jetzt echt endlich mal kurz die Aufmerksamkeit vom Red-Bull-Konsum auf die Bären und überhaupt die Natur lenken will?«
Verwirrend, dass dies augenscheinlich mein eigenes Bild von mir zu sein scheint. »Was ist der Slogan, Angie? ›Braunbären sind echt cool!‹ oder ›Bärenstark für Bären!‹?«
»Du weißt doch noch überhaupt nichts über die Kampagne, außer dass es um Braunbären und deren Schutz geht. Warum drehst du so dermaßen am Rad?«
»O.k. Werden es Plakate?«
»Ja.«
»Werde ich und ein Bild von einem Braunbär drauf sein?«
»Vermutlich.« Angie merkt, wohin ich führe, kann aber ihre Klientin nicht anlügen.
»Wird es einen Slogan geben, der sowohl pro Bär als auch vermeintlich lässig ist?«
»Luise, so viel weiß ich doch noch gar nicht.«
»Natürlich weißt du das. Ich wette, du hast schon einen ersten Entwurf vor dir. Mit einem coolen Platzhalter-Mitte-Mädchen, ’nem coolen Braunbären und ’nem coolen Satz?«
Angie zögert. Ich kann spüren, wie sie sich windet, allerdings kommt sie aus meiner Falle nicht mehr heraus.
»Ja, es gibt einen Slogan, aber der ist, genau wie das Mädchen auf dem Bild, vermutlich nur Platzhalter.«
»Wie lautet er?«, frage ich.
»Ist doch erst mal egal, die Frage ist, ob du das machen möchtest. Ich würde dir wirklich dazu raten, so oft kommen Anfragen für dich nicht rein, erst recht nicht ohne Casting.«
»Wie lautet er?«
»›Bären. Stark!‹«, sagt Angie leise.
»Mit Punkt nach dem ›Bären‹ und Ausrufezeichen nach dem ›stark‹. Richtig?«
»Luise, ist doch vollkommen egal. Ist für ’ne gute Sache und fertig.«
»Hält das Platzhaltermädchen die Daumen gewinnend nach oben?«
»Luise.«
»Ja oder nein?«
»Nein …«
»Dann verschränkt sie, Stärke demonstrierend, aber gleichzeitig auch sexy, trotzig die Arme vor der Brust. Oder?«
»Wie genau die Pose später aussehen wird, entscheidet die Agentur zusammen mit dem Kunden. Das ist doch jetzt nun wirklich das geringste Problem.« Angie hat bereits aufgegeben.
»O Gott: Macht sie einen Mucki-Arm?«
Angela legt auf.
Frau Mewis’ Taille ist in keinster Weise verändert. Sie hat einen offensichtlich mit penetranter Strenge gepflegten, sehnigen Körper und die Haltung einer alternden Ballerina. Damen wie Frau Mewis kaufen normalerweise im KaDeWe und nicht bei mir.
Während ich mein Maßband um diesen fast absurd trainierten Tänzerinnenkörper friemele, herrscht Stille. Keine nervöse Übersprungskonversation ob der plötzlichen Intimität, kein Gekichere und Erkläre. Frau Mewis steht vor mir wie eine Eins und scheint ein wenig stolz zu sein, sich in ihrer schlichten, aber qualitativ hochwertigen Unterwäsche zu zeigen. Natürlich ist auch an dieser Frau das Alter nicht vorbeigegangen, ohne ein wenig Fleisch in Falten zu legen, aber diese Haltung!
»Haben Sie früher viel Sport gemacht?«, frage ich, um die ungewohnte Stille zu unterbrechen und meine Wut auf das Telefonat mit meiner Agentin zu zerstreuen.
»Kindchen, ich habe nicht eine Woche meines Lebens vergehen lassen, ohne mich sportlich zu betätigen! Ich gehe noch heute zweimal die Woche schwimmen und jedes Wochenende zum Yoga.« Frau Mewis sagt das verwirrenderweise auch nicht ohne Vorwurf.
»Nun, ich habe Yoga nie so richtig verstanden, aber augenscheinlich tut es Ihnen gut, Sie scheinen ja irre gut in Form«, sage ich mein Sätzlein auf. Frau Mewis macht mich ein wenig nervös. Offensichtlich spürt sie das und quält mich daher mit Schweigen.
»Was für einen Rock haben Sie sich denn vorgestellt?«
»Tweed. Charcoalfarben. Hohe Taille. Wadenlang.«
Puh. Alles klar. Keine Verben mehr. Nur noch das Bellen von Adjektiven und
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