Wackelkontakte - Kein Sex geht gar nicht
mehr zu stellen, kapiert? Es ist erst wieder alles klar, wenn ich heute Abend betrunken und vollgefressen in meinem Bett liege – und zwar alleine!« Mein Ton war schärfer ausgefallen, als ich gewollt hatte. Tim schaute etwas betroffen zur Seite, und sofort tat er mir leid. Ich musste an mein Gespräch mit Tina denken, das mir seither nicht mehr aus dem Kopf ging. Tim hatte es natürlich nur gut gemeint. Er hatte es immer gut mit mir gemeint, und selbst sein kleiner Scherz vorhin war nur zu meinem Besten gewesen, weil er wusste, wie unpünktlich ich war, besonders wenn es darauf ankam.
Die Kellnerin brachte unsere Getränke, und wir schlürften schweigsam vor uns hin. Ich beobachtete Tim heimlich. Er sah richtig glücklich aus. Glücklicher als ich auf jeden Fall, aber das war heute wohl nicht schwer. Er schien sich regelrecht auf diesen Tag zu freuen, und ich hatte die vage Vermutung, dass ich dabei eine nicht ganz unerhebliche Rolle spielte. Ich überlegte, ob es wirklich so klug von Tina gewesen war, uns zusammen zur Hochzeit gehen zu lassen. Vielleicht machte er sich falsche Hoffnungen. Vielleicht würden Gefühle wieder aufwallen, die er längst überwunden hatte.
»Was ist? Warum guckst du mich so komisch an?«, riss mich Tim aus den Gedanken.
»Äh, was … , oh, ich … « Ich lief rot an. »Ich muss mal eben zur Toilette.«
Ich stellte die Kaffeetasse so schnell auf den Tisch, dass der Kaffee überschwappte, und verschwand auf der Toilette.
Das fehlte mir gerade noch, dass ich mich ausgerechnet heute mit Tims Gefühlen auseinandersetzen musste. Die Hochzeit an sich brachte mein emotionales Gleichgewicht schon gehörig ins Wanken. Heute war schließlich der Tag, an dem sich alles änderte. Der Tag, an dem der eigene Mann für meine Freundinnen wichtiger wurde als Frauengespräche über Männer. Der Tag, an dem Tina und Özlem erwachsen wurden … und ich nicht.
Ich spritzte mir vorsichtig kaltes Wasser ins Gesicht, und meine Gedanken über Tim wurden wieder von der allgemeinen unterschwelligen Hochzeitspanik abgelöst. Ich schnorrte mir von einer Geschäftsfrau in einem strengen Zweiteiler eine dünne Zigarette mit ekligem Mint-Geschmack, um mich etwas zu beruhigen. Ich lief rauchend in der Toilette auf und ab und ging im Kopf abwechselnd meine Rede und den organisatorischen Ablauf der Hochzeit durch. Hier und da verirrte sich eine Sorge über Tims Gefühlszustand zu meinem Gehirn, aber meine Hauptangst galt wieder meinem ganz persönlichen Versagen vor Tina, Özlem, Gott und der Hochzeitsgesellschaft, als es an der Tür klopfte.
»Karina, bist du da drin?«
»Ja, das Männerklo war schon besetzt.«
Konnte Tim mich nicht wenigstens in Ruhe im Selbstmitleid ertrinken lassen?
»Was machst du denn die ganze Zeit?«, rief er.
»Ich suche nach einem Fenster, um unauffällig zu fliehen.«
»Rauchst du etwa?«
Das war ja schlimmer als in der Schule. »Nein.« Ich nahm schnell zwei Züge hintereinander und löschte die Zigarette unter dem Wasserhahn. »Das ist nur … dieses komische Frischespray von der Toilette. Hat eine etwas herbe Duftnote.«
»Aha, kommst du dann, wir müssen langsam los.«
Und mit einem Schlag war die Panik voll da. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und erst recht nicht antworten.
»Karina, hast du gehört? Wir müssen los.«
Ich stützte mich auf dem Waschbecken auf und schaute in mein aschfahles Gesicht im Spiegel.
»Karina?«
Ich räusperte mich: »Ja, ich … , warum gehst du nicht schon mal vor, ich komme gleich nach.«
Aber Tim ließ sich nicht abwimmeln. »Ich weiß ja, dass ich diese Frage nicht stellen darf, aber ist alles klar bei dir?«
Mein Gesicht verschwamm in den Tränen, die mir plötzlich in die Augen schossen. »Nein, Tim«, keuchte ich. »Ich … kann nicht mitkommen. Du schaffst das doch auch alleine, oder? Ich habe mir nämlich … den Fuß verstaucht, in diesen dämlichen Schuhen.«
Langsam verstand ich, warum Tina mir unbedingt ein Hochzeits-Date aufs Auge drücken wollte.
»Mensch, Karina, du benimmst dich ja fast so, als wäre es deine eigene Hochzeit. Ich meine, es sind schließlich deine besten Freundinnen, nicht meine.«
Ich nickte meinem Spiegelbild zu, aber der Tränenstrom war nicht mehr aufzuhalten. Ich konnte ein Schniefen nicht unterdrücken. Die Tür wurde vorsichtig geöffnet, und Tim lugte herein.
»Was ist denn? Oh.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nichts … , nur eine Allergie, vielleicht auf dieses blöde Toilettenspray,
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