Wackelkontakte - Kein Sex geht gar nicht
… «
»Findest du es richtig? Ja oder nein?«, unterbrach mich Özlem streng.
Sie hatte definitiv zu viele amerikanische Gerichtsserien geschaut, aber da gab es wenigstens zwölf Geschworene. Ich dagegen sollte jetzt vollkommen alleine ein folgenschweres Urteil fällen.
»Ja oder nein?«
Ich nahm einen großen Schluck Rotwein aus der Flasche, weil ich zu nervös war, um den Wein vorher ins Glas einzuschenken, das ich in der anderen Hand hielt. Meine theoretische Auffassung vom menschlichen Grundrecht, sich von nichts und niemandem zu einer Hochzeit zwingen zu lassen, war klar. Nur die praktische Auslegung bereitete mir Schwierigkeiten, schließlich ging es hier um zwei meiner besten Freundinnen, und egal was ich sagte, es würde eine von ihnen unglücklich machen.
»Karina, sag mir einfach deine Meinung, ja oder nein?«
»Nein«, nuschelte ich.
»Was?«
»Nein, ich finde es nicht richtig«, sagte ich nun laut und deutlich und hätte beinahe noch ein »Frau Richterin« hinten angefügt.
»Danke.« Özlem nahm meinen Urteilsspruch sehr gefasst auf, und für sie war die Verhandlung damit geschlossen. Sie leerte ihr Glas in einem Zug und stand auf. Ich hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals und wollte sie trösten: »Es tut mir leid, Özlem.«
Sie schüttelte den Kopf: »Du hast vollkommen recht. Tina darf Aygün nicht heiraten. Sagst du es ihr? Ich kann das jetzt nicht.«
Ich nickte, und als Özlem die Tür hinter sich zugezogen hatte, konnte ich meine Tränen nicht länger zurückhalten. Ganz langsam wurde mir die Tragweite meines Neins bewusst. Der Kloß in meinem Hals wurde größer, immer größer, bis er es mir unmöglich machte zu atmen. Ich stolperte auf den Balkon und schnappte keuchend nach Luft.
Was hatte ich gerade getan? Ich hatte über das Leben meiner besten Freundinnen entschieden. Einfach so! Aus dem Bauch heraus! Ein Nein, und nichts würde mehr so sein, wie es war. Ich versuchte Luft zu holen, aber der Kloß in meiner Kehle arbeitete dagegen. Ich hielt mich am Balkongeländer fest und hustete. Vor meinen Augen fing alles an zu flimmern. Ich hustete gegen das Schwarz an, das sich in meinem Kopf ausbreitete.
»Karina?«
Endlich konnte ich wieder atmen. Ich schnappte hektisch nach Luft, als wäre ich gerade aus dreihundert Metern Tiefe aufgetaucht.
»Hey, alles klar da drüben?« Tim stand auf der anderen Seite des Balkons.
Ich atmete mehrmals tief durch, dann brachte ich ein keuchendes »Alles klar« hervor.
»Dann ist es ja gut, ich war gerade in der Küche und dachte, du bekommst keine Luft mehr.«
»Nein, es ist alles in Ordnung, alles … in Ordnung.« Ich sagte es mehr zu mir selbst als zu Tim, während mir die Tränen über die Wangen liefen. Ich wischte sie mit meinem Ärmel ab und starrte hinaus in die Dunkelheit.
»Tim?«, fragte ich nach einer Weile leise, weil ich nicht damit rechnete, dass er noch da war.
»Ja?« Anscheinend hatte er hinter der Trennwand auch in den Himmel gestarrt, denn es war eine sternenklare Nacht.
»Willst du heiraten?«
Ich hörte ein unterdrücktes Schnaufen auf der anderen Seite des Balkons: »Soll das etwa ein Antrag werden?«
Mir fiel auf, dass ich genauso gut hätte fragen können: »Willst du ins Kino gehen« oder »Willst du eine Cola«, und ich beeilte mich, keine falschen Erwartungen zu wecken: »Was ich eigentlich meinte: Willst du irgendwann mal irgendjemanden heiraten?«
Die Antwort ließ etwas auf sich warten: »Ja, ich denke schon, dass Sabrina und ich heiraten werden.«
So genau wollte ich es gar nicht wissen. Ich versuchte trotzdem, meine nächsten Fragen möglichst objektiv zu stellen.
»Du würdest Sabrina dann also heiraten, weil du sie lange genug kennst?«
»Hm.«
»Sie liebst?«
»Hm.«
»Und den Rest deines Lebens mit ihr verbringen willst?«
»Hm.«
»Deswegen heiratet man doch, oder?«
»Ich schätze ja.«
Ich nickte: »Gut.«
»Wieso?«
»Weil das bedeutet, dass ich das Richtige tue, auch wenn es mir furchtbar schwerfällt.«
Plötzlich war es still auf der anderen Seite des Balkons, so als hätte der Beichtvater sein Türchen zugeschoben. Ich fühlte mich tatsächlich erleichtert und konnte endlich wieder klar denken.
Ich musste sofort mit Tina sprechen. Und ich hatte keine Zeit zu verlieren, denn je mehr Geld und Aufwand Tina in ihre Hochzeit investierte, desto schwieriger wäre sie davon abzubringen. Ich zog mir bequemere Schuhe an und warf mir meinen alten Parka über, da es inzwischen richtig
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