Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
hergekommen, um sie zu retten?«
Er seufzte tief. »Rachel …«
Einen Augenblick lang war in der Höhle bis auf das Prasseln der Flammen kein Geräusch zu hören. Rachel rang die Hände vor dem Körper und versuchte, ein Zittern zu unterdrücken. Sie wollte Drusus keinen Glauben schenken, sie wollte nichts von den schrecklichen Dingen glauben, die er sagte. Doch Lachlans Antwort lähmte ihre Gegenwehr. Was, wenn all das der Wahrheit entsprach?
»Ich werde die Dinge auf den Punkt bringen«, begann Drusus lächelnd. »Ich mag dich, Rachel, daher werde ich Gnade walten und dich lebendig ziehen lassen. Dreh dich einfach um, geh den Weg zurück, den du gekommen bist, und vergiss, dass all das jemals geschehen ist.«
»Ich kann nicht gehen, nicht ohne Emily.«
»Natürlich nicht. Du nimmst sie mit.«
»Aber …« Rachel betrachtete die erstarrte Gestalt ihrer Tochter. Wieder hatte sie das sonderbare Gefühl, eine hilflose Maus in den Pfoten einer gerissenen Katze zu sein – so als würde ihr die Flucht zu leicht gemacht. Drusus schnippte mit den Fingern, und Em blinzelte. Sie nahm die Hände auseinander, und das Messer fiel klirrend auf den Steinboden. Ein dumpfer, in die Ferne gerichteter Ausdruck blieb auf ihrem Gesicht zurück, aber ganz offensichtlich war sie am Leben. Und dennoch zögerte Rachel. Sie sah zu Lachlan.
»Geh, Rachel«, sagte er. Seine blauen Augen waren kühl und leer. »Nimm Emily und geh. Drusus hat recht. Es ging mir immer nur darum, meine Familie zu retten. Es war grausam, mich in deine Gefühle einzuschleichen, ich weiß, aber ich durfte Emily nicht aus den Augen verlieren. Meine Familie stand immer an erster Stelle.« Rachels Pulsschlag verlangsamte sich. Seine Familie. Nicht sie. Nicht Emily. »Ich denke, du wusstest das, irgendwo tief in dir.«
Rachel blinzelte. Lachlan hatte recht. Sie hatte es tatsächlich gewusst – oder zumindest vermutet. Deshalb hatte ihr die Eifersucht stets einen scharfen Stich versetzt, sobald die Rede auf Lachlans Frau und Kinder gekommen war. Rachel hatte die ungewöhnliche Tiefe seiner Bindung zu ihnen gespürt. Sie hatte nur nicht ahnen können, dass Lachlan derart viel auf sich nehmen würde, um sie zu retten – bis hin zu einem geheuchelten Liebesbekenntnis ihr gegenüber. Wie falsch sie gelegen hatte.
Rachel wandte den Blick von Lachlan und senkte ihn zu Boden. In ihrer Brust schmerzte es, als bohrte jemand einen Dolch hinein. Welch ein Dummkopf sie war. Derart versunken in ihre eigene kleine Welt, dass sie die Wahrheit nicht erkannte und nur sah, was sie sehen wollte. Immer schon. Auch Grant hatte nie
sie
geliebt, er hatte eine Frau geliebt, die Rachel nie sein würde. Und Lachlan liebte sie ebenso wenig. Er hatte sie nur benutzt. Tränen traten in Rachels Augen. Verdammt. Sie hatte alle Vorsicht fahrenlassen, sich von Lachlans ruhigen, sicheren Worten einwickeln lassen und das Unmögliche gehofft. Sie hatte sich in ihr Bild von ihm verliebt, in die Fassade der scheinbaren Zuverlässigkeit. Nur um nun zu entdecken, dass, gleichgültig wie viele Schichten sie abzog, nichts von diesem Bild real war. Überhaupt nichts. Sie hatte denselben Fehler gemacht wie bei Grant – sie hatte sich von der schönen Verpackung blenden lassen, die nur eine leere Schachtel umschloss. Nie wieder würde sie das zulassen. Gutaussehende Charmeure würde sie in Zukunft zum Teufel jagen.
Sie wandte sich ab.
Lachlan sah zu, wie Rachel eine benommene Emily aus der Höhle führte und in der Dunkelheit des Gangs verschwand – diesmal ausgerüstet mit einer Taschenlampe, die Drusus freundlicherweise herbeigezaubert hatte. Die Tränen, die in Rachels Augen glitzerten, brachten den Seelenwächter fast um den Verstand. Aber Lachlan hatte keine andere Möglichkeit gesehen, als die abweisenden Worte auszusprechen. Sie hatte gezögert, als sie ihm hätte vertrauen sollen. Doch zu wissen, dass sie überleben würde, machte es erträglich.
Als sich der Lichtschein der Taschenlampe in der Dunkelheit verlor, ergriff eine vertraute Kälte von seinem Herzen Besitz. Rachel war fort. Wieder einmal war es Drusus gelungen, ihm alle zu entreißen, die ihm etwas bedeuteten.
»Hervorragend.« Der Verlockungsdämon sah Lachlan grinsend an. »Nicht ganz so vergnüglich, wie sie vor deinen Augen umzubringen, aber immerhin eine erfreuliche Menge Schmerz, die ich dir bereiten konnte. Und von jetzt an wird es noch schlimmer für dich, mein Freund. Selbst wenn du überleben solltest, was
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