Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
füllte einen Wasserkessel und stellte ihn auf den Herd. »Wie geht es Emily? Hat sie sich von dem Unfall erholt?«
»Gut, dass Sie fragen«, entgegnete Rachel. »Deshalb bin ich hier.« Dann röteten sich ihre Wangen in einem charmanten Pink. »Wahrscheinlich ist es indiskret von mir, aber ich habe herumgefragt, welches Apartment Ihres ist. Ich hoffe, es stört Sie nicht.«
»Nein, überhaupt nicht.«
Stören beschrieb nicht annähernd angemessen den Aufruhr in seinem Inneren. Er wollte sich darüber freuen, dass Rachel nach ihm gesucht hatte, aber zusammen mit seinem männlichen Stolz stieg sofort eine Heerschar alter Erinnerungen in ihm auf. Erinnerungen daran, wie es sich anfühlte, von einer Frau begehrt zu werden, ihre Liebe zu erringen und dann sein Herz brechen zu spüren, wenn sie starb – ein Schicksal, das allen lebenden Geschöpfen früher oder später beschieden war. Er nahm zwei Tassen und eine Kanne aus dem Küchenschrank.
»Was haben Sie denn für ein Problem?«
»Es ist etwas schwierig zu erklären.« Sie ging zum Kamin hinüber und betrachtete neugierig das Schwert. »Sie besitzen eine interessante Sammlung an mittelalterlichen Waffen. Sind sie echt?«
»Nein, es sind Replikate. Echte wären ein Vermögen wert.«
Rachels Blick schweifte durch den unmöblierten Raum. »Sie legen Ihr Geld anderweitig an, schätze ich.«
Die Versuchung, über den scheinbar fehlenden Komfort zu reden, war übermächtig, aber Lachlan schwieg. Eine Erklärung würde es gewiss mit sich bringen, dass er ihr das gut ausgestattete Arbeitszimmer am Ende des Flurs zeigte, das seinem Kingsize-Bett wiederum gefährlich nahe lag.
Der Kessel pfiff, und Lachlan goss den Tee auf. »Erzählen Sie mir von Emily«, forderte er Rachel auf. Ein gutes, sicheres Thema.
Rachel durchquerte den Raum und setzte sich auf einen der Barhocker an der Kücheninsel. Als sie sich über die Granitplatte beugte, straffte sich der seidene Stoff der Bluse über ihren Brüsten. Lachlan wandte sich abrupt ab. Seufzend gestand Rachel: »Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist.«
Während er Milch und Zucker bereitstellte, berichtete Rachel von der Launenhaftigkeit und Aufsässigkeit ihrer Tochter. Die Erschöpfung grub winzige Furchen zwischen ihre Augenbrauen. Lachlan reichte ihr einige zuckerbestäubte Butterkekse, an denen sie abwesend knabberte, während sie weitersprach. Als sie bei Ems nächtlichem Ausflug angelangt war, zuckte Lachlan zusammen. Typisch, genau in jener Nacht hatte er eine Seele holen müssen.
»Ich war bereits bei der Polizei«, erzählte Rachel. »Sie sagen, sie können nichts machen, es sei denn, Emily wird nachts von einer Streife aufgegriffen. Es liegt allein bei mir, sie von diesem Jungen fernzuhalten …«
»Aber Sie müssen schließlich arbeiten.« Lachlan teilte Rachels Frustration. Da er Emily nur gelegentlich überwachen konnte, zwischen zwei Seelenkollekten sozusagen, war er diesem neuen Freund noch nicht begegnet. Es war klar, dass er beginnen musste, Emily von der Schule nach Hause zu folgen.
»Ganz genau«, pflichtete Rachel seiner Aussage bei und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln.
Sie hatte ein Grübchen, nur eines, auf der linken Seite des Mundes. Lachlan konnte seine Augen gar nicht davon abwenden. Er hatte sich noch nie etwas so brennend gewünscht, wie dieses Grübchen zu küssen. Er gab Rachel eine Teetasse. »Und wie kann ich Ihnen dabei helfen?«
»Reden Sie mit ihr.«
»Worüber?«
»Über den Tod. Emily hatte schon immer ein seltsames Interesse an diesem Thema, aber seit dem Unfall ist sie wie besessen davon. Als hätte ihr die Nahtod-Erfahrung eine Tür in eine andere, dunkle Welt geöffnet.« Rachel beugte sich vor und holte einige Blatt Papier aus ihrer Handtasche. »Diese Symbole hat sie bereits früher gezeichnet.« Rachel zeigte Lachlan einen Kreis, der einen sechszackigen Stern einfasste, ein Ankh, das Auge des Horus und ein auf den Kopf gestelltes Kruzifix.
»Das ist nicht weiter schlimm«, sagte Lachlan. »Die Gothic-Szene liebt Symbole. Es hat nichts zu bedeuten.«
»Ich weiß. Em gehört seit fast einem Jahr dazu, und nachdem ich mich ein wenig darüber informiert hatte, habe ich ihr diese Sachen durchgehen lassen. Ich dachte, das wäre eben ihre Art der Persönlichkeitsfindung.« Rachel zog ein Papier unter den anderen hervor. »Aber in den letzten Wochen sind ihre Zeichnungen viel düsterer geworden.«
Das Papier starrte vor schwarzer Tinte. Es war über und über mit
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